Was uns von Corona in Kassel und Umgebung im Gedächtnis bleibt
Nun fällt die letzte Corona-Regel. Auch wenn es das Virus weiter geben wird: Eine ungewöhnliche Zeit geht zu Ende. An was aber denken wir, wenn wir auf drei Jahre zurückblicken?
Kassel – Am 11. März 2020 gab es im Landkreis Kassel den ersten Corona-Infizierten. Mehr als drei Jahre und mindestens sechs Infektionswellen später haben sich laut Gesundheitsamt in der Stadt Kassel insgesamt 80 038 Menschen mit dem Coronavirus angesteckt. Im Landkreis Kassel sind es 99 357 Menschen. Es sind 756 Menschen in Stadt und Landkreis Kassel mit oder an dem Coronavirus gestorben.
Die Balkonkonzerte
Sie waren in der dystopischen Grundstimmung zu Beginn des ersten Lockdowns – neben den vielen spontanen Nachbarschaftshilfen – das größte Trostpflaster und Symbol für Solidarität, Menschenfreundlichkeit und unkaputtbare Lebensfreude: die Balkonkonzerte. Wir sahen sie im Fernsehen zuerst in Italien, dann gab es sie bald auch bei uns. Kostenlos machten Künstler anderen Menschen eine Freude. Zu den ersten in Kassel zählte Diego Jascalevich.

Der Charanga-Spieler und Komponist hatte dafür sogar ein Stück geschrieben: Modus Balkon – Musik für das Immunsystem. Unter freiem Himmel versammelte sich das Publikum auf der Straße. Doch dann tauchte auch schon die Polizei auf und sorgte streng dafür, dass die Menschen nicht zu nah beieinander standen. Der kleine Moment Weltvergessenheit war schon wieder in der Realität angekommen.
Die neuen Vokabeln
Bezeichnungen wie 3G, 2G oder sogar 2G plus sind genauso wie die Begriffe Boostern und Inzidenz heute nichts Neues mehr. In den vergangenen drei Jahren haben sie fest zum Sprachgebrauch dazugehört. Sprache und ihre Wortneuschöpfungen verraten viel über eine Gesellschaft – und sie zeigen, dass die Corona-Pandemie unseren Alltag beherrscht hat. Aber so schnell, wie wir uns an die neuen Vokabeln gewöhnen, so schnell vergessen wir sie auch wieder. Wofür standen denn nochmal die drei G? Getestet, geimpft und..?
Die Kurve
Oberstes Ziel vor allem in der Anfangsphase der Pandemie: die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, beziehungsweise die Infektionskurve möglichst lange möglichst flach zu halten – oder auf Englisch: Flatten The Curve. Die Strategie der Regierung entwickelte sich auch auf den Sozialen Medien zu einem echten Internettrend: Als Hashtags oder mit kleinen Musikvideos forderten sich die Menschen gegenseitig auf, zu Hause zu bleiben.

Die Ausgangssperre
Es war der erste Abend im ersten Lockdown mit Ausgangssperre. Noch mal raus auf den Balkon, einen Blick auf die Sterne am Nachthimmel werfen. Und dann diese Stille. Kein Auto war zu hören, keine Straßenbahn qietschte um die Kurve, nicht einmal das Grundrauschen bei leichtem Ostwind von der Autobahn. So ruhig. Unter anderen Umständen wäre das eigentlich geradezu paradiesisch. Aber an diesem Abend klang die Stille bedrohlich.
Die Querdenker
Vor Corona war der Begriff „Querdenker“ eine Auszeichnung. Damit wurden Leute bezeichnet, die kreativ und flexibel waren. In der Pandemie wurde „Querdenker“ jedoch zum Oberbegriff für all die, die mit den Maßnahmen nicht einverstanden waren – auch wenn die mit der Stuttgarter Initiative „Querdenken 711“ nicht viel zu tun hatten, die das Wort zur Marke machte. In Kassel demonstrierten die Maßnahmen-Kritiker vor allem montags – unter ihnen viele ganz normale Menschen, die sich Sorgen machten, Esoteriker und Impfgegner, aber auch Rechte (von der AfD bis zu Reichsbürgern und Nazis).

Am 20. März 2021 organisierte eine Handvoll von ihnen mit Unterstützung der „Querdenker“-Initiative eine Groß-Demo, zu der etwa 20 000 Menschen kamen. Trotz Verbots zogen die Teilnehmer durch die Straßen und stürmten ohne Masken in Geschäfte. Vereinzelt kam es zu Übergriffen. Für die „Querdenker“ wurde Kassel zu einem Symbol. Weitere Großveranstaltungen ließ die Stadt verbieten. Erreicht wurde das jeweils von einem Großaufgebot an Polizisten. Einige aus der Kasseler Bewegung sind auch heute noch in Telegram-Gruppen aktiv, wo sie etwa Sympathien für Russlands Präsidenten Putin bekunden. Sie denken weiter quer.
Die Maskenpflicht
Das erste Mal mit einer Maske in den Supermarkt. Drei Jahre ist das her, aber das Gefühl ist noch präsent: sehr komisch, fast ein bisschen peinlich war das. Über Jahre kannten wir solche Bilder nur aus dem Fernsehen, aus Nachrichtenbeiträgen über Smog in Asien. Also nun mit Maske der Marke Eigenbau (mit dem Schnittmuster der Schwester der Kollegin genäht) zum Einkaufen. Ein paar Stoffmasken und sehr viele FFP2-Masken später endet morgen nun also die letzte Pflicht zum Tragen einer Maske: in Arztpraxen. Ehrlich gesagt: Ich habe mich so an die Masken gewöhnt, dass ich sie weiterhin trage. Bei Bedarf, etwa wenn die Tram rappelvoll ist. Eine Maske fühlt sich irgendwie sicherer an.
Die Luca-App
Wer gern und regelmäßig essen geht, dessen Treue zum Lieblingsrestaurant wurde in der Pandemiezeit auf manch harte Probe gestellt: In Lockdown-Phasen den To-go-Container am Seiteneingang des Restaurants abzuholen, fühlte sich oft an wie ein illegales Drogengeschäft. Dann, als wieder eingeschränkt bewirtet werden durfte: Abstands-Ödnis, abgesperrte Tische und gedrückte Stimmung wie beim Beerdigungskaffee.

Und bevor man überhaupt Platz nehmen durfte, war erst mal eine akribische Kontroll- und Zettelwirtschaft zu absolvieren – nicht zuletzt auch für die Wirte. Da freuten sich viele über die Luca-App, die diese lästige Prozedur per Smartphone-Scan überflüssig machte. Erfreulich, dass auch dies längst wieder Geschichte ist.
Die Geier
Durch Corona haben auch einige Menschen mit der Angst der anderen dicke Geschäfte gemacht. Am Anfang, als es noch keine medizinischen Masken gab, bot ein Kasseler Händler einen behelfsmäßigen Mund- und Nasenschutz aus Stoff für 35 Euro an. Pro Stück. Aus heutiger Sicht: undenkbar.
Die Betrüger
Plötzlich wurde überall getestet. Unter den Anbietern der Testcenter gab es allerdings auch schwarze Schafe. Im Sommer 2021 wurde ein Testcenter in Kassel geschlossen. Dessen Betreiber standen im Verdacht, über eine Million Euro zu Unrecht mit der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet zu haben. Im Oktober 2021 wurde zudem gegen einen weiteren Inhaber von zwei Corona-Testzentren in Kassel und Baunatal ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betruges eingeleitet. Der Mann wurde zu einer Haftstrafe verurteilt.