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Vor der Stichwahl: Das ist Sven Schoeller, der OB werden will

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Von: Matthias Lohr, Florian Hagemann

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Ist erst seit zwei Jahren Stadtverordneter: Am Sonntag könnte der Rechtsanwalt Sven Schoeller (Grüne) zum Kasseler Oberbürgermeister gewählt werden.
Ist erst seit zwei Jahren Stadtverordneter: Am Sonntag könnte der Rechtsanwalt Sven Schoeller (Grüne) zum Kasseler Oberbürgermeister gewählt werden. Archi © Andreas Fischer

Zur Stichwahl diesen Sonntag tritt Sven Schoeller allein an. Stimmt eine Mehrheit für ihn, wird er Oberbürgermeister. Wer ist der Grünen-Politiker? Ein Porträt.

Kassel – Sven Schoeller könnte der erste grüne Oberbürgermeister Kassels werden. Voraussetzung: Er gewinnt die Stichwahl am Sonntag. Das Besondere: Nach dem Rückzug von Amtsinhaber Christian Geselle, der im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhielt, gibt es keinen Gegenkandidaten. Die Wähler können sich nur für oder gegen Schoeller entscheiden. Der 50-Jährige benötigt eine Mehrheit an Ja-Stimmen. Wer aber ist der Mann, der bisher eher als Strafverteidiger statt als Kommunalpolitiker in Erscheinung getreten ist? Wir stellen ihn vor.

Der Werdegang

Als Strafverteidiger trat Schoeller in mehreren spektakulären Fällen auf. So verteidigte er den Mörder der von ihrem Bruder getöteten Kasselerin Mehtap Savasci und zuletzt die falsche Ärztin aus Fritzlar, Meike S. Auch ein anderer Beruf hätte für den Juristen nahegelegen. Beide Eltern von Schoeller waren Pfarrer. Er wuchs in Neu-Eichenberg und Gudensberg auf und durchlebte mit seiner Familie mehrere schwere Schicksalsschläge: Sein älterer Bruder starb an Leukämie, nur wenige Tage später starb auch sein Vater. Schoeller war damals vier.

Nach dem Abitur in Fritzlar studierte er Jura in Göttingen und Mainz. Laut eigenen Angaben war sein Staatsexamen das beste in Rheinland-Pfalz. Nach dem Abschluss zog es den Nordhessen zurück in die Heimat. Seine Kanzlei hat Schoeller im Königstor. Er teilt sie sich unter anderem mit seiner Frau Judith Ehret, die mittlerweile Geschäftsführerin des Arbeiter-Samariter-Bunds Nordhessen ist.

Die Politikkarriere

Sollte Schoeller am Sonntag tatsächlich zum Oberbürgermeister Kassels gewählt werden, wäre er politisch durchgestartet wie keiner seiner Vorgänger: Christian Geselle war bereits Kämmerer, bevor er OB wurde, Bertram Hilgen hatte Erfahrung als Regierungspräsident, Georg Lewandowski kam als Landtagsabgeordneter ins Rathaus nach Kassel. Schoeller – seit 2010 Mitglied der Grünen – dagegen sitzt erst seit 2021 für die Grünen in der Stadtverordnetenversammlung.

Dass er sogleich OB-Kandidat wurde, hat auch mit Nicole Maisch zu tun. Die Gesundheitsdezernentin war parteiintern von vielen als OB-Bewerberin favorisiert worden, winkte aber frühzeitig ab. Allerdings kam die Kandidatur Schoellers nicht völlig aus dem Nichts: Als Strafverteidiger hatte er sich schon längst einen Namen gemacht, ebenso als verkehrspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Dass er einem wie Geselle rhetorisch und intellektuell Paroli bieten würde, war auch jenen bei den Grünen klar, die eine Herausforderin bevorzugt hätten.

Das Auftreten

Schoeller kommt nicht als junger Joschka Fischer daher, der sich einst in Turnschuhen zum ersten grünen Landesminister hat vereidigen lassen. Schoellers Hang zum Einstecktuch ist durchaus auffällig. Er selbst hat schon festgestellt: „Ich wundere mich manchmal, worüber sich die Leute Gedanken machen. Dann ist das meiste, worüber nach einem Termin gesprochen wird, mein Einstecktuch oder der Pulli, den ich schon das zweite Mal anhatte.“

Auf den Wahlplakaten kommt er vor allem sehr smart daher. Wenn er spricht, kann er den Juristen in sich nicht immer unterdrücken.

Als er sich im September bei der Kreismitgliederversammlung seiner Partei vorstellte, beschrieb er sich als „ziemlich sachlichen Typen“, der von manchen als „zu sachlich und zu wenig emotional empfunden“ werde. Diese ehrliche Selbsteinschätzung überzeugte: Er wurde mit 95,1 Prozent zum Herausforderer von Geselle gewählt.

Dass er auch mit seiner eher ruhigen Art Stiche setzen kann, bewies er beim HNA-Lesertreff, als er Amtsinhaber Geselle auf seine Art Kontra gab, als es ums Klima im Rathaus ging. Da provozierte er Geselle, ohne ihn namentlich genannt zu haben.

Der Privatmensch

Am Montag nach dem ersten Wahlgang war Schoeller körperlich ziemlich fertig. Er schob das aber nicht auf die Party seiner Partei im Irish Pub, sondern auf die zwei Stunden, die er am Sonntag vor dem Wahlabend Tennis spielte.

Der 1,95 Meter große Schoeller ist Mitglied bei Blau-Weiss Kassel und auch sonst sportlich, fährt Rad und joggt am Sonntagmorgen am liebsten bei Sonnenaufgang durch den Bergpark, ehe er mit seiner Frau und den drei Kindern in Kirchditmold frühstückt.

Aus dem Geselle-Lager gab es zuletzt Kritik, weil Schoeller Jäger sei. Dies sei doch ein Widerspruch zu seiner Partei, die Veggie-Wochen propagiere. Schoeller sieht den Vorwurf sehr gelassen. Er hat tatsächlich einen Jagdschein, war aber aus Zeitgründen seit 15 Jahren nicht mehr auf der Jagd, wie er sagt.

Bis zu diesem Jahr war er ehrenamtlicher Prüfer und stellvertretender Vorsitzender der Jägerprüfungskommission, für die das Regierungspräsidium zuständig ist. „Natürlich ist es überhaupt kein Widerspruch, Jäger und Grüner zu sein“, sagt Schoeller. So könnte es sein, dass bald tatsächlich ein doppelter Grüner im Kasseler Rathaus das Sagen hat.

Das sind Schoellers Themen

Was Sven Schoeller vorhat, sollte er Oberbürgermeister Kassels werden, steht auf seiner Internetseite. Dort finden sich 26 Themen für Kassel. Den einzelnen Punkten vorangestellt ist eine allgemeine Bemerkung, wie er es angehen will: „Ich stehe für einen dialog- und lösungsorientierten Politikstil.“ Und weiter: „Wir brauchen ein gutes Klima in Rathaus und Stadt.“ Er will Kassel wieder einen, sagte er auch unmittelbar nach dem ersten Wahlgang. Was aber steht nun auf seiner politischen Agenda? Ein Überblick.

Klimaschutz: Schoeller sieht im Klimaschutz nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine große Chance. Darum will er sich für einen Standort für ein Erneuerbare-Energien-Gewerbezentrum einsetzen. Hier sollen sich Unternehmen ansiedeln, die rund um Klimaschutz, erneuerbare Energien und nachhaltige Mobilität tätig sind.

Wärmeversorgung: Schoeller will Kassel zur ersten deutschen Großstadt mit unabhängiger und klimaneutraler Versorgung machen. Hierfür sollen das Fernwärme- und Nahwärmenetz ausgebaut werden. Zudem soll ein saisonaler Wärmespeicher gebaut werden, damit die Überschusswärme der Sommermonate für den Winter gespeichert werden kann.

documenta-Institut: Sven Schoeller will die documenta für alle Kunstinteressierten auch zwischen den Ausstellungen lebendig und erlebbar halten – und zwar mit einem Institut, das selbst auch eine Ausstellung enthalten soll, in der das Gedächtnis der documenta für die Allgemeinheit abrufbar ist. Einen Standort für eine solche große Lösung nennt er allerdings nicht.

Innenstadt: Schoeller will in der Innenstadt wieder mehr Raum fürs Wohnen und für kulturelle Nutzung schaffen – und das mit den Interessen der Gewerbetreibenden in Einklang bringen. Er nennt konkrete Überlegungen: Die Stadtbibliothek könnte ins Ruruhaus einziehen, zudem ein City-Jugendzentrum entstehen. Außerdem will Schoeller die – wie er es nennt – Barrierewirkung der breiten Straßen zwischen Entenanger und Pferdemarkt sowie zwischen Markthalle und Brüderkirche verringern. Es soll eine bessere Infrastruktur für Rad- und Fußverkehr in der Innenstadt geschaffen werden. Außerdem hält er es für sinnvoll, eine Straßenbahnlinie durch die Frankfurter Straße und den Steinweg zu prüfen – neben der vorhandenen Linie durch die Königsstraße.

Mobilitätswende: Als verkehrspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Stadtparlament hat Schoeller immer wieder darauf hingewiesen, dass der Radwegebau vorangehen muss. Er will jedoch auch die Sicherheit von Fußgängern erhöhen (etwa durch neue Straßenquerungen). Das ÖPNV-Angebot soll ausgebaut werden – etwa durch eine neue Tramlinie von Harleshausen bis Waldau und Lohfelden. Voraussetzung dafür ist jedoch die Förderfähigkeit. Ähnliches gilt für die Reaktivierung der Herkulesbahn.

Multifunktionshalle: „Wir brauchen eine Multifunktionshalle in Kassel“, sagt Sven Schoeller – ohne dabei konkreter in Sachen Standort zu werden. Er will damit die Kongress- und Veranstaltungsmöglichkeiten Kassels ausbauen. Von einer zweiten Eisfläche, auf die die Kassel Huskies hoffen, ist in seiner Themenübersicht keine Rede.

Bezahlbarer Wohnraum: Hier bleibt Schoeller relativ vage. Er will sich dafür einsetzen, dass das Wohnraumversorgungskonzept der Stadt umgesetzt wird, damit bezahlbarer Wohnraum für Familien, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung, ältere Menschen, Azubis und Studierende entsteht.

Digitalisierung: Die Stadtverwaltung soll irgendwann weitgehend papierlos arbeiten. Das Ausdrucken von E-Mails müsse ein Ende nehmen. Die Behördengänge von Bürgern sollen so digital und anwenderfreundlich wie möglich werden. (Florian Hagemann, Matthias Lohr)

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