Geselles Rückzug bei der OB-Wahl in Kassel: Politischer Kultur ein Bein gestellt

Christian Geselle wird nicht bei der Stichwahl der OB-Wahl in Kassel antreten. Dadurch gibt es nur Verlierer. Ein Kommentar von HNA-Chefredakteur Axel Grysczyk.
Dass es in Kassel bei sechs Bewerbern um das Oberbürgermeister-Amt zu einer Stichwahl kommt, ist politischer Alltag. Was den vergangenen Sonntagabend weit über die Grenzen der nordhessischen Metropole hinaus zu einem Novum macht, ist der Rückzug des Amtsinhabers Christian Geselle vom zweiten Wahlgang. Einen Tag nach diesem Politbeben mit all seiner Wucht werden die Wunden sichtbar. Denn Parteien und politische Kultur haben Schaden genommen.
Auf den Wahlzetteln zur Stichwahl in zwei Wochen steht somit nur ein Kandidat. Die Wahlberechtigten in Kassel haben die Wahl, mit „Ja“ oder „Nein“ zu stimmen. Ist das eine wirkliche Wahl? 18.593 Wähler oder 31,47 Prozent haben für den amtierenden Oberbürgermeister gestimmt. Es ist zweifelhaft, ob diese Wähler ihr Votum mit dem Wissen abgegeben hätten, ihr Kandidat schmeißt hin, wenn absehbar ist, dass er keine Siegchancen hat. Dieser Teil des Wahlvolks ist betrogen worden.
Häufig ist in der Vergangenheit überall in der Republik die politische Kultur beschworen worden. Wenn die politische Kultur einen Magen hat, dann hat sie durch ein solches Vorgehen einen Schlag in den solchen bekommen. Denn zum fairen Umgang in der Demokratie gehört auch, seine Absichten offenzulegen und Sieg und Niederlage zu akzeptieren. Erst recht, wenn die Entscheidung zum Rückzug nach Aussagen von Geselle schon seit Wochen in ihm gereift ist.
Keine 50 Prozent Ja-Stimmen im zweiten Wahlgang für den aktuell Zweitplatzierten Sven Schoeller, und das Politik-Desaster wäre perfekt. Es müsste komplett neu gewählt werden. Schließlich gibt es keine Alternative auf dem Wahlzettel. Es wäre ein Trauerspiel, das auch durch den Geselle-Rückzug plötzlich im Raum steht.
So ganz nebenbei hat das sozialdemokratische Kasseler Stadtoberhaupt mit seiner Entscheidung die Siegchancen seiner Partei bei den Landtagswahlen im Herbst verringert. Die Partei und seine Anhänger sind gespalten. Dass die nordhessische SPD-Hochburg ihren siegbringenden Beitrag zum Gesamtergebnis in Hessen liefert, ist jetzt schon ausgeschlossen.
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