Kommentar zur OB-Wahl: Kassel schafft mal wieder Einzigartiges

Christian Geselle tritt nicht zur Stichwahl an - obwohl er die meisten Stimmen bekommen hat. Das Resultat ist aber auch ein Zeichen, dass er politisch keine Zukunft mehr hatte.
Dieser Abend am Sonntag im Kasseler Rathaus erfüllt alle Kriterien, um als historisch bezeichnet zu werden. Die SPD fährt ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Oberbürgermeister-Wahl in der Geschichte ein, die CDU ebenfalls. Über die Zukunft der beiden Parteien in Kassel wird zu reden sein. Das ist aber nichts gegen den Paukenschlag, der an diesem Tag alles überschattet hat: Amtsinhaber Christian Geselle tritt zur Stichwahl nicht mehr an. Damit ist der Weg frei für Sven Schoeller, erster grüner Oberbürgermeister Kassels zu werden.
Bei all der Spannung, bei all den Spannungen, bei all den Spekulationen, die es rund um diese Wahl gab: Damit hat nun wirklich niemand gerechnet. Jetzt gibt es eine Stichwahl mit einem Kandidaten – Kassel schafft mal wieder Einzigartiges.
OB-Wahl in Kassel: Dieser Schritt passt zu Geselle
Wobei eins festzuhalten bleibt: Dieser Schritt passt zu Geselle, der sich als Mann der klaren Kante versteht und den Paukenschlag in seinem Repertoire hat. Seine Entscheidung verdient Respekt, auch wenn die Begründung mit dem Verweis auf eine vermeintliche Diffamierungskampagne sicher nur die halbe Wahrheit ist. Geselle ist zwar als Erster aus diesem ersten Wahlgang hervorgegangen. Aber sein Resultat und insbesondere der sehr geringe Abstand zu Herausforderer Schoeller mussten ihm Zeichen genug sein, dass er politisch keine Zukunft mehr hatte in dieser Stadt: zerstritten mit der eigenen Partei, isoliert im Rathaus bei einer Jamaika-Koalition.
Hinzu kamen der erhebliche Verlust an reinen Stimmen im Vergleich zu 2017 und wohl auch die nahe liegende Erkenntnis, dass er sein Stimmenpotenzial ausgereizt hatte. Denn diese Oberbürgermeisterwahl – das haben die vergangenen Wochen gezeigt – war auch eine Wahl für oder gegen Geselle. Selten hat ein Politiker in dieser Stadt so stark polarisiert wie der 47-Jährige, um den sich zum Schluss alles gedreht hatte.
Nun wird es ohne ihn weitergehen – höchstwahrscheinlich mit Sven Schoeller an der Spitze des Rathauses. Eine Hürde muss der Grüne noch überspringen. Seit diesem historischen Abend gestern ist die aber wesentlich kleiner als angenommen. Ein Kommentar von Florian Hagemann
In unserem Themen-Spezial zur OB-Wahl in Kassel sammeln wir alle Artikel zur Wahl am 12. März – und zur Stichwahl zwei Wochen später. Dort beantworten wir auch allgemeine Fragen zur Abstimmung und erklären sowohl die Brief- als auch die Stichwahl. Unseren Newsticker zum Wahlabend vom 12. März finden Sie hier.