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So hart ist der OB-Wahlkampf in Kassel - Offener Brief gegen Beleidigungen

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Von: Matthias Lohr

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Der Kasseler OB-Wahlkampf wird immer schmutziger, klagt Ehrenbürgerin Eva Schulz-Jander, die einen Offenen Brief verfasst hat. Die Geselle-Unterstützer machen derweil Vorfälle öffentlich.

Kassel – Wenige Tage vor der Oberbürgermeisterwahl Kassel an diesem Sonntag wendet sich Ehrenbürgerin Eva Schulz-Jander in einem Offenen Brief an alle Kasseler. Die 87-Jährige beklagt angebliche Schmutzkampagnen im Wahlkampf und fordert mehr Fairness. Derweil macht die Wählerinitiative für Amtsinhaber Christian Geselle Vorfälle öffentlich, die belegen sollen, wie hart dieser Wahlkampf geführt werde.

Oberbürgermeisterwahl in Kassel: Offener Brief für mehr Fairness

Seitdem Anfang Februar der anonyme Brief mit Vorwürfen gegen Oberbürgermeister Geselle öffentlich wurde, dachte sich Eva Schulz-Jander, sie müsse sich zu Wort melden. Bis heute fehlen der langjährigen Geschäftsführerin der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit die Inhalte im Wahlkampf: „Die hitzige Atmosphäre tut unserer Stadt nicht gut. Wir wollen kein Trump-Land werden.“

Wurde vor drei Jahren Kasseler Ehrenbürgerin: Am 3. Februar 2020 erhielt Eva Schulz-Jander von Oberbürgermeister Christian Geselle (links) und dem damaligen Stadtverordnetenvorsteher Volker Zeidler die Ernennungsurkunde. Archi
Wurde vor drei Jahren Kasseler Ehrenbürgerin: Am 3. Februar 2020 erhielt Eva Schulz-Jander von Oberbürgermeister Christian Geselle (links) und dem damaligen Stadtverordnetenvorsteher Volker Zeidler die Ernennungsurkunde. Archi © Andreas Fischer

Darum hat sie nun einen Offenen Brief formuliert, der in den nächsten Tagen als Anzeige in der HNA erscheinen soll. Darin klagt sie, dass die Autoren des anonymen Briefs „einen Menschen mitsamt seiner Familie vernichten wollen“. Auch die Anti-Geselle-Seite geselligewahrheiten.de wolle „lediglich zerstörerisch wirken“. Mit ihrem Brief, den bisher mehr als 100 Menschen unterzeichnet haben, wendet sie sich gegen „Denunzieren, Diffamieren und Beleidigen“.

Schulz-Jander, die als US-Amerikanerin am Sonntag nicht wählen kann, ist es wichtig zu betonen, dass der Brief keine Wahlhilfe ist: „Es geht mir nicht um Geselle, sondern die Art und Weise, wie Wahlkampf gemacht wird.“

Im Netz wird der Offene Brief bereits vielfach geteilt. Darin steht noch, dass die Vorwürfe aus dem anonymen Brief allesamt widerlegt werden könnten. Diesen Satz will Schulz-Jander aber streichen. Auch an anderen Stellen werde der Text überarbeitet. „Irgendjemand“ habe vorab einen Entwurf geteilt, sagt sie: „Damit bin ich selbst nicht glücklich.“

Wer die anderen Mitinitiatoren sind, will Schulz-Jander nicht verraten. Eine der Mitunterzeichnerinnen ist Sozialdezernentin Ilona Friedrich (SPD). Die Geselle-Unterstützerin sagt: „Was gerade in der Stadt Kassel passiert, erschüttert mich. Viele haben einen Anteil daran, dass nun solch ein schlechtes Klima herrscht.“ Die Anti-Geselle-Seite habe sie sich noch gar nicht angeschaut.

Geselle-Initiative macht Vorfälle öffentlich

Auch Rosa-Maria Hamacher ist schockiert über die Art des Wahlkampfs. Seit dem anonymen Brief bekommt die Vorsitzende der Geselle-Wählerinitiative „verstärkt negative und persönliche Rückmeldungen auf mein Engagement“, wie sie sagt. Vorige Woche habe es mehrmals spätabends oder nachts an ihrer Wohnung im vierten Stock geklingelt. Unten hätten Unbekannte die Kamera überklebt. Zudem habe an ihrer Tür ein Flyer für die Anti-Geselle-Seite geklebt – mit einem roten Ausrufezeichen: „Die letzten Nächte habe ich nicht mehr zuhause geschlafen. Man weiß nicht, was als nächstes kommt.“

Auch bei Geselle selbst sei es zu einem Vorfall gekommen. So sollen am frühen Samstagmorgen vermummte Gestalten vor dem Haus des Rathaus-Chefs gepocht und laut gerufen haben. Der Polizei ist der Vorfall bekannt, wie ein Sprecher sagt.

Ein anderer SPD-Politiker hat Anzeige wegen Sachbeschädigung gestellt, nachdem Unbekannte am Donnerstag in seiner offenen Garage ein Plakat mit einem Anti-Geselle-Aufkleber versehen und 200 Geselle-Flyer entwendet hatten.

Hamacher kritisiert, dass die Mitbewerber sich bislang nicht offensiv vom anonymen Brief und der Anti-Geselle-Seite distanziert hätten, die mit Slogans wie „gelogen“ eine aggressive Stimmung aufbausche: „Jede weitere Grenzüberschreitung wird hingenommen. Die demokratische Kultur wird so Schaden nehmen.“ Dazu passe, dass bei der Fridays-for-Future-Demo am Freitag am Rathaus „Geselle wird platt gemacht“ gerufen worden sei.

Das sagen die anderen OB-Kandidaten für Kassel zu den Vorwürfen

Wir haben die fünf OB-Mitbewerber von Christian Geselle gefragt, wie sie zu dem anonymen Brief und der Anti-Geselle-Seite stehen. 

Sven Schoeller (Grüne)

„1. Der sogenannte rote Brief eines ,Frauen-Widerstandes’ aus dem Rathaus beinhaltet unbewiesene Behauptungen, die geeignet sind, die Reputation von Herrn Geselle zu schädigen. Wegen fehlender Beweisquellen handelt es sich um üble Nachrede, die nicht verbreitet werden darf. 2. Die Website „Gesellige Wahrheiten“ weist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Aussagen von Herrn Geselle aus seiner Amtszeit auf. Sie verweist auf Belegquellen und ist nicht mit dem „roten Brief“ zu vergleichen. 3. Herr Geselle hat in einer Aussage auf dem Podium des HNA-Lesertreffs den „roten Brief“ mit der Website vermischt. In diesem Zuge hat er öffentlich in den Raum gestellt, alle anderen OB-Kandidaten träfe eine Verantwortung an diesen von Dritten getätigten Äußerungen, indem er an die anderen Kandidatinnen adressierte, ihnen sei jedes Mittel Recht. Das halte ich für inakzeptabel.“

Isabel Carqueville (SPD)

„Die politische Fairness gebietet, sich zu anonymen Briefen grundsätzlich nicht zu äußern, da dies nur zur weiteren Verbreitung der jeweiligen Vorwürfe beiträgt, gegen die sich die Betroffenen aufgrund der Anonymität nicht wehren können. Das gilt auch andersherum: Wem vorgeworfen wird, er oder sie habe sich zu anonymen Briefen nicht geäußert, hat ebenso keine Möglichkeit, sich gegen diesen Vorwurf zu wehren. Ich stehe weiterhin für einen fairen, sachbezogenen Wahlkampf und ich äußere mich weiterhin nicht zu anonymen Briefen oder anderen anonymen Wahlkampfaktivitäten.“ 

Eva Kühne-Hörmann (CDU)

„Ich äußere mich nicht zu anonymen Vorwürfen. Es gilt die Unschuldsvermutung. Das Ergebnis der Ermittlungen bleibt abzuwarten.“ 

Violetta Bock (Linke)

„Ich habe mich bereits direkt dazu bei verschiedenen Podien geäußert. Es gibt einen Unterschied zwischen dem anonymen Brief, zu dem ich mich nicht weiter äußern werde. Hier bedarf es Aufklärung und mit dem eingeleiteten Disziplinarverfahren hat der Oberbürgermeister hier korrekt reagiert. Mich wundert, dass seine Wählerinitiative dies zum Wahlkampfthema machen will, während alle anderen sich nicht an der Verbreitung beteiligen. Die Internetseite mit Impressum ist etwas anderes und geht auf konkrete Sachverhalte ein. Der Ton mag einem nicht gefallen und manche Dinge würde ich persönlich anders einschätzen, hier geht es jedoch um die Bewertung seiner Amtszeit. Und Kritik muss möglich sein, es geht schließlich um die kommenden sechs Jahre und das Oberbürgermeisteramt.“

Stefan Käufler (Die Partei)

„Mir ist selten in meinem Leben so viel Macht- und Dominanzgehabe begegnet wie in diesem Wahlkampf. Anachronistische Verhaltensstrukturen aus dem letzten Jahrhundert. Ich kann jeden Bürger verstehen, der sich angewidert von der Politik abwendet, und jeden, der sich nicht traut, offen mit seinem Namen aufzutreten.“ (Matthias Lohr)

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