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Kasseler SPD in der Krise: Was wird aus Parteichef Hechelmann?

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Von: Matthias Lohr, Florian Hagemann

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Am Wahlabend strahlten sie – trotz eines historisch schlechten Ergebnisses: OB-Kandidatin Isabel Carqueville (Mitte), die Stadtverordnete Anke Bergmann und Parteichef Ron-Hendrik Hechelmann. Archi
Am Wahlabend strahlten sie – trotz eines historisch schlechten Ergebnisses: OB-Kandidatin Isabel Carqueville (Mitte), die Stadtverordnete Anke Bergmann und Parteichef Ron-Hendrik Hechelmann. Archi © Andreas Fischer

Die Kasseler SPD kommt heute zusammen - auch, um das schlechte Ergebnis bei der OB-Wahl zu analysieren. In der Kritik steht vor allem der Vorsitzende Ron-Hendrik Hechelmann.

Kassel – Das schlechteste Wahlergebnis in ihrer Kasseler Geschichte, ein Oberbürgermeister, der aus der Partei austritt, und zwei heillos zerstrittene Flügel – die Kasseler SPD hat einiges aufzuarbeiten. Heute (18 Uhr) kommen die Mitglieder zum Unterbezirksausschuss im Philipp-Scheidemann-Haus zusammen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem vielleicht wegweisenden Abend.

Was steht auf der Tagesordnung?

Der wichtigste von fünf Tagesordnungspunkten ist an dritter Stelle notiert: „Wahlanalyse OB-Wahl“. In seiner Einladung an die Genossen erklärt Parteichef Ron-Hendrik Hechelmann: „Wir wollen eine sachliche Analyse der Ergebnisse durchführen und gemeinsam eine Perspektive für das Zusammenfinden als eine Partei erörtern.“ Zudem soll der Unterbezirksparteitag vorbereitet werden. Seit dem ersten Durchgang der OB-Wahl haben die Sozialdemokraten bereits in kleineren Runden das Ergebnis versucht aufzuarbeiten. Kandidatin Isabel Carqueville sorgte mit 12,8 Prozent für ein historisch schlechtes Ergebnis. Amtsinhaber Christian Geselle wiederum, der als unabhängiger Bewerber wiedergewählt werden wollte, verkündete überraschend seinen Rückzug, nachdem er im ersten Wahlgang zwar die meisten Stimmen, mit 31,5 Prozent die absolute Mehrheit aber weit verfehlt hatte. Am Dienstag wurde zudem bekannt, dass er Ende März aus der SPD austritt. Somit wird das Parteiordnungsverfahren gegen ihn hinfällig.

Wer darf an dem Unterbezirksausschuss teilnehmen?

Alle Parteimitglieder können kommen, die Öffentlichkeit ist allerdings ausgeschlossen. Die Parteispitze rechnet mit 60 bis 80 Besuchern. Fast alle Mitglieder, mit denen wir im Vorfeld redeten, wollten nicht zitiert werden. Einer sagte: „Die Partei muss jetzt zur Ruhe kommen.“ Das wird aber wohl nur gelingen, wenn die Vergangenheit aufgearbeitet worden ist und die Flügel wieder die Perspektive für eine vernünftige Zusammenarbeit haben.

Muss Parteichef Ron-Hendrik Hechelmann um sein Amt bangen?

Durchaus. Schon seit Längerem gibt es Rücktrittsforderungen vom rechten Flügel an den Parteichef. Das Wahldesaster hat Hechelmanns Position nicht gerade gestärkt. Trotzdem gibt er sich gelassen. Aktuell lägen dem Vorstand keine Anträge vor: „Ich stelle mich gerne dem Votum des regulären SPD-Parteitags am 3. Juni 2023.“ Für relativ wahrscheinlich halten Beobachter, dass es eine Doppelspitze geben könnte – mit Hechelmann und jemandem vom rechten Flügel. Zudem könnte die Landtagsabgeordnete Esther Kalveram eine wichtigere Rolle in der Partei einnehmen. Die Geselle-Unterstützerin aus dem Forstfeld hatte schon in den vergangenen Monaten versucht, zwischen den Flügeln zu vermitteln. Auch sie wollte sich vor dem Unterbezirksausschuss nicht äußern. Ob sie allerdings gemeinsam mit Hechelmann die Zukunft der SPD gestaltet, darf bezweifelt werden. Interessant: Beide gehen als Direktbewerber für ihre Partei in den Landtagswahlkampf: Kalveram im Osten, Hechelmann im Westen.

Wird es ein langer und heißer Abend werden?

Davon ist auszugehen. Immerhin ein Sozialdemokrat glaubt jedoch nicht, dass es hitzig wird. Er sagt: „Es wird für uns die Gelegenheit, uns über alles auszusprechen, was in den vergangenen Monaten passiert ist.“ Das dürfte eine ganze Menge sein. Denn mit der Partei ist auch die Fraktion in zwei Lager aufgeteilt. Hier der linke Flügel, der die Mehrheit hat. Dort die anderen, die sich auch aus dem Fraktionsvorstand verabschiedet haben. Der besteht derzeit aus Ramona Kopec, Anke Bergmann und Sabine Wurst. Auch hier muss Vermittlungsarbeit geleistet werden. Nach dem Parteiaustritt von Geselle könnten ihm einige seiner Unterstützer folgen. Der Bundestagsabgeordnete Timon Gremmels sagt daher: „Der Unterbezirk hat die Aufgabe, Brücken zu bauen und Geselles Unterstützer zu integrieren.“

Warum ist der heutige Abend so wichtig für die Kasseler Sozialdemokratie?

Schaffen sie es heute nicht, Signale für eine gemeinsame Zukunft zu senden, droht der Absturz in eine langfristige Bedeutungslosigkeit. Stand jetzt hat die einst so stolze Kasseler SPD kaum mehr etwas zu sagen in der Stadt: In der Stadtverordnetenversammlung regiert das Jamaika-Bündnis aus Grünen, CDU und FDP, der nächste Oberbürgermeister wird – so oder so – mit großer Wahrscheinlichkeit kein SPD-Parteibuch haben. Die SPD-Dezernenten Ilona Friedrich und Dirk Stochla werden ebenfalls sehr wahrscheinlich bis Ende des Jahres ihre Posten verlieren und das Rathaus verlassen. Bleibt mit Kalveram noch eine Landtagsabgeordnete und mit Timon Gremmels ein direkt gewählter Bundestagsabgeordneter, der allerdings aus dem Landkreis kommt. Geht der Streit nun weiter, könnte dies auch mehr und mehr Auswirkungen auf die Landtagswahlen im Herbst haben. Kassel war immer ein zuverlässiger Stimmengarant für die SPD. Die derzeitigen Querelen verunsichern aber selbst jene, die traditionell ihr Kreuzchen bei den Sozialdemokraten machen. Das ist auch keine gute Nachricht für Landes-Chefin Nancy Faeser, die gern Ministerpräsidentin werden möchte. Für sie kommt es auf jede Stimme an. Von daher hat auch sie ein ganz besonderes Interesse daran, dass sich die Lage in Nordhessen beruhigt, zumal der Streit innerhalb der Kasseler SPD über die Stadt hinaus strahlt.

Wird Isabel Carqueville weiter eine Rolle spielen?

Die Oberbürgermeister-Kandidatin hat das historisch schwächste Ergebnis eines SPD-Kandidaten oder einer SPD-Kandidatin erbracht – allerdings hat sie das nicht allein zu verantworten. Präsentiert hat sie mit Ron-Hendrik Hechelmann der Parteivorsitzende, nominiert die Partei – auch aus Ermangelung an Alternativen nach dem eskalierten Streit mit Oberbürgermeister Christian Geselle. Carqueville, die derzeit kein Amt in der Partei und auch kein Mandat hat, könnte im Sommer womöglich in den Parteivorstand aufrücken, wenn das die Basis wünscht. Vorteil für sie: Sie ist nun bekannter. Nachteil: Sie steht für ein schlechtes Resultat.

Werden die Sozialdemokraten eine Wahlempfehlung für die Stichwahl am Sonntag mit dem Grünen Sven Schoeller abgeben?

Aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Parteichef Hechelmann sagte zuletzt: „Stand heute kann die SPD keine Wahlempfehlung abgeben.“ Daran dürfte sich nichts ändern. (Matthias Lohr und Florian Hagemann)

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