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OB-Wahl: Wären Neuwahlen besser als eine Stichwahl mit einem Kandidaten?

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Von: Matthias Lohr, Andreas Hermann

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Die größte Gruppe bei der OB-Wahl waren die Nichtwähler.
Die größte Gruppe bei der OB-Wahl waren die Nichtwähler. © nh

In der Stichwahl am 26. März können die Kasseler nur noch über Sven Schoeller (Grüne) abstimmen. Einige fordern darum Neuwahlen. Andere wollen mit Nein stimmen.

Kassel – Die bei der Oberbürgermeisterwahl in Kassel anstehende Stichwahl mit dem alleinigen Kandidaten Sven Schoeller (Grünen) stößt bei vielen Menschen auf Unverständnis. So stellen auch HNA-Leser in ihren Zuschriften und ihren Online-Kommentaren Fragen wie „Was ist das für ein Stechen, in dem man nur die Wahl zwischen einem Ja oder einem Nein für den Bewerber mit dem zweitbesten Stimmenergebnis hat?“ Oder: „Warum rückt nach dem Ausstieg des Amtsinhabers und Kandidaten Christian Geselle, der den ersten Wahlgang gewonnen hat, nicht die drittplatzierte Eva Kühne-Hörmann (CDU) in die Stichwahl nach?“

Inzwischen gibt es auch aus politischen Kreisen erste Kritik an den Vorgängen in Kassel und an dem in dieser Form in Hessen bislang einmaligen Solo-Stechen. „Der unerwartete Rückzug von Christian Geselle bei der Oberbürgermeister-Stichwahl in Kassel zeigt auf der einen Seite ein mangelndes Demokratieverständnis des Noch-Oberbürgermeisters, zum anderen aber auch einen Punkt im hessischen Kommunalwahlgesetz, der überarbeitet werden muss“, meinte der Alsfelder Bürgermeister Stephan Paule als Landesvorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung (KPV) der CDU Hessen.

Der nächste Landtag, der am 8. Oktober gewählt wird, müsse sich mit einer Novellierung der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) befassen. Die Regelung müsse dringend korrigiert werden, fordert der Christdemokrat. Bislang schreibt die HGO fest, dass eine Stichwahl bei Verzicht eines Bewerbers auf die Teilnahme mit dem verbliebenen Bewerber stattzufinden hat (Bericht unten).

Nach Geselles Ankündigung am Wahlabend, im zweiten Wahlgang nicht anzutreten, hatte auch Sven Schoeller erklärt, es wäre ihm lieber gewesen, wenn der Wähler bei der Stichwahl die Auswahl zwischen zwei Bewerbern hätte. Eine Lösung könne sein, wenn in einem solchen Fall der oder die Drittplatzierte in die Stichwahl einziehe, betonte dazu Stephan Paule. „So hätten die Wähler wenigstens die demokratische Möglichkeit einer echten Auswahl.“ Kuriose Los-Entscheidungen hatte es sogar bei Direktwahlen zuletzt im Kreis Groß-Gerau und 2020 bereits in der Gemeinde Ahnatal gegeben.

Nach Angaben des Innenministeriums gibt es bisher keine weiteren Forderungen oder gar Initiativen zur Änderung der Stichwahl-Regelung bei Direktwahlen im Land Hessen.

So ist die Stichwahl bislang geregelt

Nach der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) muss eine Stichwahl mit dem verbliebenen Bewerber stattfinden, wenn der andere seinen Verzicht darauf erklärt hat. Der oder die Drittplatzierte darf nicht in die Stichwahl einziehen. Weiter heißt es in der HGO: „Der Bewerber ist gewählt, wenn er die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhält.“ Erhält Sven Schoeller (Grüne) am 26. März also mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimme, ist er der neue OB in Kassel.

Vor der Stichwahl in Kassel: Wären Neuwahlen besser?

Geht es nach André Schönewolf, sollte Sven Schoeller jetzt den Christian Geselle machen. Der Kasseler forderte in einem Facebook-Post, dass der OB-Bewerber der Grünen wie der Amtsinhaber von seiner Kandidatur zurücktritt, um den Weg für Neuwahlen freizumachen.

Nach dem überraschenden Rückzug Geselles ist Schoeller der letzte verbliebene Bewerber. Bei der Stichwahl am 26. März muss der Zweitplatzierte des ersten Durchgangs mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten, dann ist er Oberbürgermeister. Schönewolf fragt: „Aber mit welcher demokratischen Legitimation eigentlich?“ Am Sonntag hatten von 145 621 Wahlberechtigten 16 451 für Schoeller gestimmt. „So billig ist wohl niemand an den Job gekommen“, sagt der 40-Jährige, der Wert darauf legt, dass er seinen Vorschlag nach „diesem verkorksten Wahl-Fiasko“ als Privatperson gemacht hat, nicht als Mitarbeiter des DGB Hessen-Thüringen und auch nicht als passives Linken-Mitglied.

Schönewolf ist kein Geselle-Fan. Dem mit seiner Partei zerstrittenen Sozialdemokraten wirft er Wahlbetrug und schädliches Verhalten für die Demokratie vor: „Wenn er nicht bekommt, was er will, ist er beleidigt und schiebt ab.“ Schönewolf ist auch nicht der Einzige, der Neuwahlen fordert. Kai Boeddinghaus, der für die Linken ehrenamtlicher Stadtrat ist, ruft auf Facebook auf: „Am 26. März – Nein gegen Jamaika.“ Auch Schönewolf will mit Nein stimmen.

Die Koalition aus Grünen, CDU und FDP steht jedoch nicht zur Wahl. Nur die OB-Wahl würde noch einmal von vorn losgehen, wenn Schoeller die Mehrheit verpasst. Alle Bewerber könnten sich noch einmal zur Wahl stellen – auch der noch bis zum 21. Juli amtierende Geselle.

Aber wäre es für die Demokratie und die zuletzt viel beschworene politische Kultur in der Stadt wirklich besser, wenn der Wähler noch einmal zwischen Personen wählen könnte? Franziska Lux ist davon nicht überzeugt. Die 52-Jährige war Geschäftsführerin der Fraktion FDP, Freie Wähler und Piraten, hat einen Blog zur Kasseler Politik (restgedanken.de) und verfolgt das Geschehen auch von ihrem neuen Wohnort Aschaffenburg.

Gerade hat sie interessante Grafiken veröffentlicht, die das Wahlergebnis in Relation zur Gesamtbevölkerung zeigen. Die mit Abstand größte Gruppe sind demnach die Nichtwähler (41,42 Prozent). Geselle (8,96) und Schoeller (7,92) wurden nur von einem Bruchteil aller Kasseler gewählt. Die Zahlen würden wohl auch bei Neuwahlen nicht viel anders ausfallen. Man versteht, warum manche Politologen die Demokratie in der Krise sehen.

Lux hält nicht viel davon, im zweiten Durchgang mit Nein zu stimmen. Zum einen könne Schoeller nichts für Geselles Rückzug, der ihn erst in die ungewöhnliche Situation gebracht hat. Zum anderen würden Neuwahlen „die Stadt in eine lange Hängepartie werfen“. Das „kostet unglaublich Geld, Zeit und Kraft, die besser für dringliche Themen verwendet werden sollte“.

Noch ist unklar, ob und welche Wahlempfehlungen die anderen Bewerber geben. Dass die SPD ihren Anhängern empfiehlt, für einen Kandidaten der Jamaika-Koalition zu stimmen, ist kaum vorstellbar. Linken-OB-Kandidatin Violetta Bock findet eine Neuwahl „demokratietheoretisch besser“. Rein praktisch mache die Stichwahl Sinn: „Man hat nun die Auswahl zwischen Ja und Nein.“ Sie selbst will mit Nein stimmen.

Schoeller wirbt derweil weiter um eine „breite Legitimationsbasis“, wie er auf Anfrage sagt. Ein Rückzug kommt für ihn auch wegen der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) nicht infrage: „Aus eigenen Stücken eine andere Variante als demokratischer anzusehen, als die, welche die HGO als demokratischen Prozess im nun eingetretenen Fall vorsieht, wäre anmaßend und für die Demokratie noch schädlicher als die durch den Rückzug meines Mitbewerbers eingetretene Situation.“

Der Rechtsanwalt verweist darauf, dass „eine Entscheidung gegen die Stichwahl“ die Stadt in „mehrere weitere Monate politischer Unsicherheit führen würde“. Dabei stehe Kassel vor gewaltigen Aufgaben. „Auch im Interesse des Ansehens unserer Stadt“ erhofft sich Schoeller ein konstruktives Votum. (Matthias Lohr)

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