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Wirt öffnet alkoholfreien Landgasthof – und muss schon nach einem Monat schließen

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Von: Zülal Acar, Ines Alberti

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In einem abgelegenen Landgasthof im Sauerland wagt ein Wirt etwas Neues. Er hat das erste alkoholfreie Restaurant der Region eröffnet - und wohl auch landesweit. Doch jetzt muss das Restaurant schließen. Dauerhaft.

Update vom 22. Februar, 13.15 Uhr: Nach vier Wochen ist Schluss. Stells Landgasthof schließt schon nach kurzer Zeit. „Wir werden nicht wieder öffnen. Wir geben auf“, sagt Manfred Stell im Gespräch mit dieser Redaktion. Eröffnet hatte Stell seinen alkoholfreien Gasthof mit zwei Köchen. „Am Ende stand ich alleine da“, sagt er. Immer wieder springen ihm die Leute ab, es fehlt schlichtweg an Personal. Es sei sehr schwer neue Mitarbeiter zu finden, und wenn er neues Personal aus dem Ausland findet, schiebe ihm die Regierung mit „irrelevanten Regelungen“ einen Riegel vor, erzählt der 68-jährige Wirt.

„Es reicht, ich habe die Schnauze voll“, attestiert er. Dabei komme das alkoholfreie Konzept sehr gut an. „Es ist nicht so, dass es nicht laufen würde. Die Menschen kamen von überall, wir waren ausgebucht“, so Stell. Neben dem akuten Personalmangel gab es ein weiteres Problem: die Energiepreise. „Sie fressen einen auf“, berichtet Stell. Er ist vor allem „frustriert und sauer auf die Regierung“. So gerne Manfred Stell seinen Betrieb weitergeführt hätte, ihm bleibt jetzt nur die Enttäuschung.

Erstmeldung vom 1. November, 11.37 Uhr: Werdohl – Der Landgasthof liegt irgendwo im Nirgendwo: „Vier Kilometer sind es bis Werdohl, zehn bis Lüdenscheid“, sagt Manfred Stell (68). Seit 40 Jahren ist er Gastronom. Mit „Stells Landgasthof“ hat er gerade seinen 40. Betrieb eröffnet: das erste alkoholfreie Restaurant der Region – und wahrscheinlich sogar landesweit.

Keiner seiner bisherigen Läden lag so abgelegen. Die allermeisten Gäste kommen mit dem Auto. Das hat den 68-Jährigen bewogen, aus der Not eine Tugend zu machen und eine waghalsig anmutende Geschäftsidee in die Realität umzusetzen.

Alkoholfreies Restaurant: Vermutlich das erste seiner Art in NRW

Ist er damit der Erste in Nordrhein-Westfalen? „Wir erfassen so etwas nicht. Von einem ähnlichen Versuch habe ich aber noch nie gehört“, sagt Thorsten Hellwig, Sprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes NRW. Aus seiner Sicht hat Stells Vorhaben durchaus eine Chance: „In der Gastronomie kann alles funktionieren - wenn es gut gemacht ist“ - auch wenn gastronomische Betriebe es in letzter Zeit schwer hatten, erst durch die Corona-Pandemie und nun durch gestiegene Energie- und Lebensmittelkosten.

Stell sieht sich als Vorreiter eines Trends, „der gerade erst in Deutschland ankommt“, wie er sagt. „In den USA ist das völlig normal.“ Stell spielt auf die „Sober Bars“ an, die ihre Vorläufer in der Abstinenzbewegung des 19. Jahrhunderts haben.

Wirt Manfred Stell zeigt in seinem Landgasthof auf das Firmenschild von „Stells Landgasthof“
Wirt Manfred Stell hat, nach eigenen Angaben, das erste alkoholfreie Restaurant in NRW eröffnet. © Bernd Thissen/dpa

Dabei mutet Stells Getränkekarte auf den ersten Blick ebenfalls völlig normal an: Es gibt verschiedene Biere, Rotweine, Weißweine, einen Rosé, Spirituosen wie Whisky und Gin – aber alles ist alkoholfrei. „Wir kochen noch nicht mal mit Alkohol“, sagt Stell. Trotzdem hat er Rotwein-Schalotten auf der Speisekarte – mit alkoholfreiem Rotwein zubereitet, versteht sich.

Wirt ist Fan von alkoholfreiem Bier: „Schmeckt genauso“

Beim alkoholfreien Bier sieht er ohnehin kein Problem: „Das schmeckt genauso, alles andere passiert nur im Kopf.“ Zwei alkoholfreie Pilssorten und ein Weizen hat er sogar als Fassbiere im Angebot.

Seit Mitte Oktober ist der alkoholfreie Landgasthof geöffnet und der Besuch sei „sehr gut“, obwohl er so gut wie keine Werbung geschaltet habe, sagt Stell. „Es hat sich sehr schnell herumgesprochen.“

Auf die Idee habe ihn TV-Koch Frank Rosin gebracht, wenn auch indirekt, verrät der Gastronom. Der habe vor einigen Jahren an Ort und Stelle vergeblich versucht, das Vorgängerlokal zu retten: „Culo del Mondo“ habe es geheißen. Zu deutsch: „Am A.... der Welt.“
Mit Alkohol könne man hier sowieso nichts anfangen, habe Rosin gesagt. Da habe es bei ihm Klick gemacht, sagt Stell.

Wirt in alkoholfreiem Restaurant trinkt selbst gar keinen Alkohol

Er selbst macht es vor: „Ich trinke seit acht Jahren keinen Alkohol mehr.“ Damals habe er vom Alkohol eine Bauchspeicheldrüsenentzündung bekommen und danach beschlossen: nie wieder Alkohol. „Mir geht es damit super“, sagt der 68-Jährige. Bei vielen Gesprächen habe er mitbekommen, dass er nicht alleine ist mit seinem Verzicht, was ihn wiederum ermutigt habe.

Kritikern, die ihm nun vorwerfen, andere mit seinem Angebot zu bevormunden, widerspricht er deutlich. Er habe nichts gegen Kneipen mit Alkoholausschank, wie er sie selbst 40 Jahre lang in Dortmund, Hagen und anderen Städten betrieben habe, aber: „Es muss auch eine Alternative geben.“

Vor zwei Jahren öffnete Deutschlands erste alkoholfreie Bar „Zeroliq“ - allerdings mitten in Berlin. Auch dort setzt man auf die Sober-Bewegung aus den USA, die nicht zuletzt vermeiden möchte, dass „trockene“ Alkoholiker ständig in Versuchung geraten, rückfällig zu werden, wenn sie ausgehen. Wie „Zeroliq“ in Berlin will sich aber auch „Stells Landgasthof„ auf keinen Fall als Therapieeinrichtung verstanden wissen.

Alkoholfreier Landgasthof in NRW: Trend geht zu alkoholfreien Getränken

Die Palette alkoholfreier Getränke ist in den vergangenen Jahren nicht nur deutlich größer geworden, alkoholfreie Alternativen zu Bier, Wein und Spirituosen sind im Aufwind. Der australische Getränkehersteller Lyre’s, Weltmarktführer für alkoholfreie Spirituosen, wurde unlängst mit über 115 Millionen Euro bewertet.

Das Gesundheitsbewusstsein sei gewachsen und die Angst vor den negativen Folgen des Alkoholkonsums gestiegen, sagen Experten wie Daniel Kofahl. Während der Bierkonsum in Deutschland in den letzten Jahren kontinuierlich zurückging, hat sich der Verkauf alkoholfreier Biere nach Angaben des Deutschen Brauer-Bundes seit 2007 fast verdreifacht. Die Wahrheit ist aber auch: Alkoholfreies Bier hat trotz seiner Zuwachsraten erst einen Marktanteil von rund sieben Prozent. Stell ficht das nicht an: Er hat nach einer Woche sogar schon erste Buchungen für Familien- und Weihnachtsfeiern im Kalender.

Die Meinungen zu dem alkoholfreien Landgasthof sind im Netz jedoch gespalten. Unter einem Facebook-Post der Rheinischen Post zu dem Restaurant diskutieren die Nutzer angeregt:

(dpa/red)

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