+++ 17.21 Uhr: Mit den ersten Passagierflügen aus Kabul seit Ende der militärischen Evakuierungsmission haben mehr als 250 Ausländer Afghanistan verlassen können. Das teilte der US-Sondergesandte Zalmay Khalilzad auf Twitter mit. Darunter befanden sich nach Angaben des Auswärtigen Amtes auf einem Flug auch 45 Bundesbürger samt Familienangehörigen. Bereits am Donnerstag konnten 15 Deutsche mit dem ersten zivilen Evakuierungsflug von Qatar Airways von Afghanistan ins arabische Emirat Katar gebracht werden. Es werde intensiv an weiteren Ausreisemöglichkeiten gearbeitet, sagte ein Sprecher.
Mit Militärmaschinen waren nach der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban Mitte August mehr als 120 000 Menschen ausgeflogen werden. Seit Ende der militärischen Evakuierungsmission in Kabul mit dem Abzug der letzten US-Soldaten bemühen sich westliche Länder, ihren Staatsangehörigen und früheren afghanischen Ortskräften weiterhin die Ausreise zu ermöglichen.
Unterdessen haben in Kabul Dutzende Frauen bei einer Demonstration auf dem Gelände einer Universität ihre Unterstützung für die Taliban ausgedrückt. Auf Bannern, die sie mit sich trugen, stand: „Wir sind mit der islamischen Einstellung und dem Verhalten der Mudschaheddin zufrieden.“ Viele der Frauen waren auf eine Weise verschleiert, wie das in Afghanistan in den vergangenen Jahren nie zu sehen war: Sie trugen bodenlange schwarze Gewänder und schwarze, kapuzenähnliche Kopfbedeckungen. Auch ihre Gesichter waren komplett schwarz verhüllt.
Eine derartige Verschleierung sei nicht Teil der Kultur Afghanistans, kommentierte die Ex-Bürgermeisterin der Stadt Maidan Schahr, Sarifa Ghafari. Man solle den Frauen des Landes nicht die Kultur des Islamischen Staates (IS) aufdrängen. Der Marsch wurde von Sicherheitskräften der Taliban begleitet. Journalisten waren offiziell eingeladen, über die Demonstration zu berichten.
+++ 13.25 Uhr: Nach dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan hat die Lage am Hindukusch eine dramatische Entwicklung genommen, die in der Machtübernahme der Taliban gipfelte. Der Einsatz in Afghanistan endete für die Nato somit in einem Fiasko. Nun hat der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg angekündigt, das Engagement des Militärbündnisses aufzuarbeiten und eine weitreichende Untersuchung einzuleiten.
In einem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag schrieb Stoltenberg: „Die Ereignisse der letzten Wochen waren tragisch für die Afghanen und erschütternd für alle, die sie unterstützen.“ In diesem Zusammenhang gebe es zahlreiche schwierige Fragen, die man nun aufarbeiten müssen. „Wir müssen Lehren daraus ziehen“, so der Norweger. Noch sei es nach der Ansicht Stoltenbergs aber zu früh, Ergebnisse des Einsatzes vorab zu beurteilen.
Der Nato-Einsatz in Afghanistan sei laut Stoltenberg ein „langer und schwieriger Einsatz, der mit vielen Opfern und hohen Kosten verbunden war“, gewesen. Trotz des desaströsen Verlaufs des Nato-Engagements am Hindukusch in den vergangenen Wochen schließt Stoltenberg ähnliche Militäreinsätze für die Zukunft nicht aus. „Es wird immer jemanden geben, der uns schaden will und unsere Werte gefährdet. Afghanistan wird nicht die letzte Krise sein, in der Nordamerika und Europa gemeinsam, mithilfe der Nato, handeln müssen“, schreibt er. „Das haben wir am 11. September und seitdem noch bei vielen anderen Terroranschlägen gesehen.“ Ausschließen könne er künftige „Militäreinsätze als Ultima Ratio“ daher nicht.
Dennoch sei es laut Nato-Generalsekretär Stoltenberg gelungen, Al-Kaida „erheblich zu schwächen und zu verhindern, dass Afghanistan Ausgangsbasis für Terroristen dient, die uns dann angreifen“. Weiter schreibt Stoltenberg: „Seit dem 11. September hat es keine Terrorangriffe mehr in unseren Heimatländern gegeben, die in Afghanistan geplant wurden.“
Update vom 11.09.2021, 8.30: Nach Recherchen der New York Times hat die US-Armee bei ihrem tödlichen Drohnenangriff am 29. August in Kabul nicht ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug getroffen, sondern den mit Wasserkanistern gefüllten Wagen eines Mitarbeiters einer Nichtregierungsorganisation (NGO). Wie die Zeitung nach Auswertung von Aufnahmen aus Überwachungskameras berichtete, war der Kofferraum des Wagens von Esmarai Ahmadi mit Wasserkanistern gefüllt.
Einen Tag nach dem Angriff in der afghanischen Hauptstadt hatte Aimal Ahmadi der Nachrichtenagentur AFP bereits berichtet, dass sein Bruder kein Attentäter, sondern ein NGO-Mitarbeiter gewesen sei und bei dem Angriff insgesamt zehn Zivilisten getötet worden seien, darunter sechs Kinder. Laut NYT arbeitete Ahmadi als Ingenieur für die in Kalifornien ansässige NGO Nutrition and Education International (dt. Ernährung und Bildung International). Auf den Aufnahmen sei zu sehen, wie er und ein Kollege den Wagen mit Wasserkanistern beluden.
Pentagon-Sprecher John Kirby sagte der NYT auf Anfrage, die Ermittlungen würden fortgesetzt, und versicherte, dass „kein Militär der Welt so sehr darauf bedacht ist, zivile Opfer zu vermeiden (wie die USA)„.
+++ 19:26 Uhr: Auf dem zweiten zivilen Evakuierungsflug, der in Richtung Katar gestartet ist, waren wieder Deutschen an Bord. Nach Angaben eines katarischen Offiziellen flog die Maschine 158 Ausländer und Afghanen aus. Neben Deutschen seien US-Bürger, Franzosen, Kanadier, Briten sowie Niederlänger und Belgier an Bord. Eine Bestätigung des Auswärtigen Amtes auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP stand am Abend noch aus.
+++ 17.29 Uhr: In Kabul hat ein zweiter ziviler Evakuierungsflug mit Ausländern und Afghanen an Bord am Freitag das Land in Richtung Katar verlassen. Unter den Passagieren seien 49 französische Staatsbürger und ihre Angehörigen, erklärte das französische Außenministerium. Beobachtern zufolge könnte damit auch die Wiederaufnahme des zivilen Flugverkehrs am Kabuler Flughafen kurz bevorstehen.
Das französische Außenministerium dankte den katarischen Behörden für ihre „entscheidende Hilfe“. Die französischen Staatsbürger und ihre Familien würden von Doha aus nach Frankreich geflogen.
Am Vortag war der erste Evakuierungsflug nach dem Abzug der US-Truppen Ende August mit mehr als 100 Menschen an Bord in Kabul gestartet. Nach der Machtübernahme der Taliban hatten die USA und ihre Verbündeten nach Nato-Angaben mehr als 120.000 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen.
+++ 15.00 Uhr: Nach der Machtübernahme der Taliban am Hindukusch hat der Chef des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 vor neuen Terrorbedrohungen gewarnt. „Natürlich wird es in meiner Amtszeit wahrscheinlich Terroranschläge auf britischem Boden geben“, sagte Ken McCallum am Freitag der BBC anlässlich des bevorstehenden 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September in den USA.
Es bestehe „kein Zweifel, dass die Ereignisse in Afghanistan einige dieser Extremisten ermutigt und gestärkt haben“. Die britischen Geheimdienste würden sich auf die Möglichkeit einstellen, dass „nach und nach mehr Risiken auf uns zukommen“, sagte McCallum weiter. „Wir wünschten, es wäre nicht so, und wir verbringen unser Leben damit, um diese Dinge zu verhindern.“
Allein in den vergangenen 18 Monaten habe der MI5 sechs konkrete Anschlagspläne vereitelt, 31 in den vergangenen vier Jahren. „Diese Zahl umfasst hauptsächlich islamistische Anschlagspläne, aber auch eine wachsende Zahl von Anschlagsplänen rechtsgerichteter Terroristen“, sagte McCallum weiter. Die derzeitige nationale Terrorgefahr für das Vereinigte Königreich wird als „erheblich“ eingestuft - die dritthöchste von fünf Stufen. Sie bedeutet, dass ein Anschlag „wahrscheinlich“ ist.
+++ 11.30 Uhr: Die UN-Sondergesandte für Afghanistan, Deborah Lyons, hat vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch Afghanistans gewarnt. Neben der humanitären drohe dem Land eine gravierende finanzielle Krise, sagte sie am Donnerstag vor dem UN-Sicherheitsrat in New York. Denn Milliarden an Kapital und Finanzhilfen von Gebern seien durch die internationale Gemeinschaft eingefroren worden.
Die verständliche Absicht sei, den Taliban den Zugriff zu diesen Mitteln zu verweigern. „Unvermeidbare Auswirkung wird allerdings eine gravierende Rezession sein, die viele weitere Millionen Menschen in Armut und Hunger treiben könnte“, betonte Lyons. Das könne eine massive Fluchtwelle verursachen und Afghanistan für Generationen zurückwerfen.
„Während die afghanische Währung abgestürzt ist, sind die Preise für Sprit und Essen in die Höhe geschossen“, sagte Lyons. Private Banken hätten kein Bargeld, Löhne könnten nicht bezahlt, Einfuhren in dem stark von Importen abhängigen Land nicht getätigt werden. Lebensmittel, Medikamente, Sprit, Strom und andere essenzielle Dinge könne Afghanistan nicht mehr finanzieren.
Es müsse schnell ein Weg gefunden werden, Geldflüsse nach Afghanistan zu ermöglichen, „um einen Kollaps der Wirtschaft und der sozialen Ordnung zu vermeiden“, sagte die UN-Expertin.
+++ 8.15 Uhr: Lloyd Austin, Verteidigungsminister der USA*, hat vor einem Erstarken der Terrororganisation Al-Kaida in Afghanistan gewarnt. Man beobachte, was passiere, „und ob die Al-Kaida die Fähigkeit hat, sich in Afghanistan zu regenerieren oder nicht“, so Austin am Donnerstag (09.09.2021) in Kuwait. Das berichtet die Nachrichtenagentur AP.
Lloyd betonte zudem: ‚Wir haben die Taliban darüber in Kenntnis gesetzt, dass wir von ihnen erwarten, dass sie nicht zulassen, dass das passiert.“ Die Taliban hatten Al-Kaida während ihrer Herrschaft zwischen den Jahren 1996 und 2001 Unterschlupf in Afghanistan gewährt. Nachdem sich die Taliban geweigert hatten, den USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 Al-Kaida-Anführer auszuliefern, kam es zur US-Invasion, bei der die Taliban gestürzt wurden.
Erstmeldung von Freitag, 10.09.2021, 7.00 Uhr: Kabul – Der amtierende afghanische UN-Botschafter hat die UNO am Donnerstag (09.09.2021) zu schärferen Sanktionen gegen die Taliban aufgerufen. Ghulam Isacsai warf den Taliban vor, im Pandschir-Tal* „Gräueltaten in großem Umfang“ begangen zu haben. Isacsai, der zum Kabinett des früheren afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani zählte, ist weiterhin der afghanische Vertreter bei der UNO.
Isacsai forderte bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats, die Taliban-Regierung in Kabul nicht anzuerkennen und die bestehenden Sanktionen zu verschärfen. Er sagte, die jüngsten Demonstrationen in Kabul seien eine „starke Botschaft“, dass die afghanische Bevölkerung das „totalitäre System“ nicht akzeptiere, das ihr von den Taliban „aufgezwungen“ werde. Die Islamisten hatten am Mittwoch (08.09.2021) Proteste verboten, nachdem es in den Tagen davor in mehreren Städten einzelne Demonstrationen gegen die neuen Herrscher gegeben hatte. (tu mit AFP/dpa/epd) *fr.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.
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