1. Startseite
  2. Welt

Chemtrails und Nazis in der Antarktis: Sind Verschwörungstheorien wirklich so gefährlich?

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Matthias Lohr

Kommentare

Zwei von vielen beliebten Verschwörungstheorien: Manche glauben, Kondensstreifen am Himmel seien nicht von Flugzeugen, sondern von Regierungen, die uns vergiften wollen. Andere meinen, am 11. September seien gar keine Flugzeuge in das World Trade Center geflogen.
Zwei von vielen beliebten Verschwörungstheorien: Manche glauben, Kondensstreifen am Himmel seien nicht von Flugzeugen, sondern von Regierungen, die uns vergiften wollen. Andere meinen, am 11. September seien gar keine Flugzeuge in das World Trade Center geflogen. © Staboslav/Pixabay/Hubert Boesl/dpa

Verschwörungstheorien sind nicht nur etwas für Nazis. Viele glauben, der Terror vom 11. September sei eine Lüge. Der Wissenschaftler Holm Gero Hümmler erklärt, warum wir alle anfällig sind.

In Ihrem Buch "Verschwörungsmythen. Wie wir mit verdrehten Fakten für dumm verkauft werden" zitieren Sie die Anhänger der Theorie, dass die Erde eine Scheibe sei, mit dem schönen Satz: „Die Flat Earth Society hat Freunde rund um die Welt.“ Zugleich gibt es die Theorie, dass die Erde eine hohle Kugel sei. Was stimmt denn nun?

Für diese Leute beides. Die zitieren sich munter gegenseitig, um ihre Theorie zu untermauern, und haben kein Problem damit. Auf Youtube findet man Verschwörungstheoretiker, die behaupten: "Es ist nicht so richtig klar, ob die Erde hohl oder eine Scheibe ist, aber eine normale Kugel ist sie in keinem Fall. Wir werden alle verarscht. Auf welche Weise, ist nicht so wichtig."

Trifft das nur auf die Vertreter der Die-Erde-ist-eine-Scheibe- und Die-Erde-ist-hohl-Thesen zu?

Das ist unter Verschwörungstheoretikern generell nicht ungewöhnlich. In Alaska gibt es zum Beispiel ein Atmosphärenforschungszentrum, über das die einen sagen, die Anlage sei eine Waffe, die Erdbeben auslösen soll. Andere behaupten, dort sollen Gedanken kontrolliert werden. Beides steht dann im selben Artikel, als würde sich das nicht widersprechen. Und es gibt auch relativ wenig Widerspruch zwischen Leuten, die meinen, die Flugzeuge, die am 11. September ins World Trade Center rasten, seien von der CIA gesteuert, und jenen, die glauben, es habe gar keine Flugzeuge gegeben. Andere wiederum sagen, es hätte Flugzeuge und eine Sprengung gegeben. Solange Einigkeit darüber besteht, dass die offizielle Version falsch ist, ist es gar nicht so wichtig, was die "richtige Erklärung" sein soll.

Wie in der Eingangsfrage werden Verschwörungstheorien häufig nicht ernst genommen. Warum ist dies der falsche Umgang damit?

Ich finde es völlig legitim, sich darüber lustig zu machen. Vieles ist einfach so absurd, dass man lachen muss. Etwa wenn man sich mit Reichsflugsscheiben beschäftigt, den Nazi-Ufos, die es angeblich geben soll, und jedes Buch dazu mit Zitaten von Rudolf Hess beginnt. Nichtsdestotrotz gibt es immer auch Menschen, die von den Argumenten der Verschwörungstheoretiker verunsichert werden. Die müssen vernünftige Informationen finden. Man kann sich also nicht nur lustig machen.

Haben Sie eine Lieblings-Verschwörungstheorie, die besonders skurril ist?

Besonders skurril ist die Theorie der flachen Erde. Das war vor fünf Jahren eine reine Lachnummer. Mittlerweile glauben jedoch so viele Menschen daran, dass man sie ernst nehmen muss. Und die These, dass es die Mondlandung nicht gegeben hat, fand ich früher banal. Dann habe ich festgestellt, dass sie sehr anschaulich macht, wie andere Verschwörungstheorien funktionieren. Das Zusammenspiel geht so: "Ich verstehe da was nicht, also muss da eine Verschwörung sein." Meist geht das mit antisemitischen und antiamerikanischen Einstellungen einher. Die Mondlandungstheorie ist der Vorläufer der Verschwörungstheorie vom 11. September.

Dieser Beitrag stammt von der Video-Plattform Glomex und wurde nicht von HNA.de erstellt.

Wieso ist gerade die Flache-Erde-Theorie so populär geworden?

In den vergangenen Jahren haben auch im politischen Bereich Sachen an Aufmerksamkeit gewonnen, die sich vor zehn Jahren noch niemand getraut hätte zu sagen. Parallel dazu trauen sich Menschen auch Dinge zu sagen, für die sie früher ausgelacht worden wären. Selbst Prominente haben keine Scheu mehr. Die US-Basketball-Profis Shaquille O’Neal, Kyrie Irving und Wilson Chandler können nicht erkennen, dass die Erde rund sei, wie sie sagen. Ähnlich äußert sich der britische Cricket-Spieler Freddie Flintoff. Und in Deutschland sympathisiert der Sänger Xavier Naidoo mit den Reichsbürgern, bei denen es viele Flacherdler gibt.

Verschwörungstheorien gab es schon immer. Wieso werden Sie heute vor allem von Rechten viel stärker politisch instrumentalisiert?

Das ist eine gute Frage. Als ich vor zehn Jahren angefangen habe, mich damit zu beschäftigen, war das kein spezifisch rechtes Problem. Mittlerweile wird es in dieser Szene jedoch systematischer genutzt. Der Holocaust-Leugner Ernst Zündel hat das bereits in den 70er-Jahren gemacht. So richtig hochgekommen ist das jedoch erst 2014 mit den Versuchen, eine rechte Friedensbewegung zu schaffen - auch mithilfe der Chemtrails-Verschwörungstheorie. Angeschoben wird das von Medien wie dem deutschen Ableger von Russia Today, hinter dem ganz offensichtlich die russische Regierung steht. Rechtsextremismus hat das Bedürfnis, das Vertrauen in die Demokratie zu destabilisieren. Dafür sind Verschwörungstheorien ein gutes Mittel.

Mit Chemtrails, also Giftwolken, soll die Bevölkerung angeblich vergiftet und das Wetter manipuliert werden. Wer glaubt heute daran?

Die Chemtrails-Theorie ist ab 2005 an den Rändern der Ökobewegung nach Deutschland geschwappt. Mittlerweile gibt es gerade in Mittelhessen eine aktive Szene rund um den Verein Blauer Himmel. Die laden Verschwörungsautoren ein, die ganz klar dem rechten Spektrum zuzuordnen sind. Von Gießen bis Bad Hersfeld passieren sehr bunte Dinge.

In Ihrem Buch heißt es, dass jeder psychisch gesunde Mensch an einige Verschwörungstheorien glaube. Sind solche Theorien per se nichts Schlechtes, weil sie zeigen, dass der Mensch kritisch ist gegenüber denen da oben?

Genau, es hat ja Verschwörungen gegeben, und es gibt auch heute welche. Verschwörungstheorien bringen das Misstrauen zum Ausdruck, das wir gegenüber den Mächtigen haben sollten. Es liegt in der Natur des Menschen, dass wir eher ein Muster erkennen, wo keines ist, als ein möglicherweise lebensbedrohliches Muster zu übersehen. Insoweit ist das alles gesund. Die wenigsten von uns werden ausschließen können, dass sie nicht eine einzige Verschwörungstheorie für glaubhaft erachten, wenn sie ehrlich sind. Das meiste entspricht dem eigenen Weltbild und ist auch relativ harmlos.

An welche Verschwörungstheorie glauben Sie?

Ich war 25 Jahre lang Mitglied der CDU. Bei vielen Unions-Mitgliedern aus meiner Generation ist die Überzeugung, dass sich der ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel in der Genfer Badewanne selbst das Leben genommen hat, nicht sehr verbreitet. Ich halte den Fall nach wie vor für ungeklärt. Es ist eine natürliche Art, so zu denken.

Wer ist besonders anfällig für Verschwörungstheorien?

Ein konkretes Profil eines Verschwörungstheoretikers gibt es nicht. Frauen glauben etwas mehr an Verschwörungstheorien als Männer. Die Aktiven, die das vorantreiben, sind jedoch fast alles Männer. Religiöse glauben eher an Verschwörungstheorien als Leute, die nicht religiös sind. Diese Tendenzen erklären jedoch nur einen kleinen Teil. Deutlich sieht man hingegen: Leute, die ihr Leben sehr stark über Verschwörungen definieren, sind in anderen Dingen oft gescheitert. Wenn der Verschwörungsglauben zur Erklärung für das eigene Leben wird, ist in diesem Leben das eine oder andere häufig schief gelaufen. So kann man in Ostdeutschland einige prominente Verschwörungstheoretiker als Wendeverlierer bezeichnen. Gesellschaftliche Anerkennung bekommen sie vor allem in diesem Umfeld.

Sind Verschwörungstheorien eine moderne Form von Religion?

Sie sind zumindest ein Religionsersatz. Wie bei Religionen wird Verantwortung nach außen verlagert. Es heißt: "Du bist nicht schuld, dass etwas schief läuft, sondern der Satan oder die Verschwörung." Allerdings bieten Verschwörungen weniger positive Projektion als eine Religion. Die Hoffnung auf Erlösung ist nicht so richtig da - abgesehen von den Neuschwabenland-Gläubigen. Die warten auf die Erlösung durch die Nazis, die irgendwann aus der Antarktis wiederkommen sollen.

Ihr Buch ist ein prima Geschenk für Menschen, die zum Beispiel daran glauben, dass Hitlers Anhänger noch in der Antarktis leben. Welche Reaktionen haben Sie von Verschwörungstheoretikern bekommen?

Es gibt einige Themen, über die sich sich Leute extrem aufregen - zum Beispiel im Grenzbereich zwischen extremer Alternativmedizin und Verschwörungsglauben. Mein mit Abstand am meisten kommentierter Blog-Beitrag handelte davon, wie Verschwörungstheorien und Reichsbürger in die Alternativmedizin reinspielen. Darauf reagieren viele Heilpraktiker, Ärzte und deren Patienten extrem aggressiv.

Diskussionen mit Verschwörungstheoretikern können anstrengend sein, weil sie selbst Fakten oft keinen Glauben schenken. Wie kann man dann argumentieren?

Die Frage ist, für wen man argumentiert. Mit einem Hardcore-Verschwörungstheoretiker unter vier Augen zu argumentieren, hat wenig Sinn. Man verbraucht wahnsinnig viel Zeit, und diese Leute haben auch oft viel Zeit. Man erreicht auch selten etwas. Wenn so etwas öffentlich passiert, kann man vieles jedoch nicht unwidersprochen stehen lassen. Dann redet man für die, die zuhören. Wenn man zwei, drei Punkte auseinandernimmt und zeigt, dass das Unsinn ist, hat man schon viel erreicht.

Inwiefern ist es eine Gefahr für die liberale Demokratie, dass immer mehr Menschen an Verschwörungen glauben?

Ich weiß nicht, ob immer mehr Menschen an so etwas glauben. Aber Verschwörungsglauben schadet seit jeher der Demokratie, weil er das Vertrauen in demokratische Institutionen untergräbt und den Eindruck erweckt, es sei nutzlos, sich politisch zu engagieren. Zu allem Überfluss wird das Engagement, was Leute dann noch aufbringen, auf den Kampf gegen nicht existente Probleme gerichtet. Es wäre doch viel besser, sich innerhalb demokratischer Institutionen für Dinge zu engagieren, die man in einer Gesellschaft tatsächlich verbessern kann.

Das Buch: Holm Gero Hümmler: Verschwörungsmythen. Wie wir mit verdrehten Fakten für dumm verkauft werden. Hirzel-Verlag, 224 Seiten, 19,80 Euro.

Holm Gero Hümmler

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen und Leser,
wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.
Die Redaktion