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Region ist ein Funkloch: So schlimm ist der Handy-Empfang auf dem Land

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Von: Matthias Lohr

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Kartentelefon in Hundelshausen (Hessen) Foto: Uwe Zucchi/dpa
Früher konnte man auf dem Land wie hier in Hundelshausen bei Witzenhausen im Werra-Meißner-Kreis immerhin von der Telefonzelle aus telefonieren. Heute hat fast jeder ein Handy, aber vielerorts leben die Menschen im Funkloch. © Picture-Alliance/Uwe Zucchi/dpa

Wer durch die Region reist, sieht auf dem Handy oft: Kein Netz. Menschen auf dem Land sind am Verzweifeln. Viel zu spät will die Politik das ändern. Wir zeigen, wo es Funklöcher gibt.

Wenn Oliver Zissel im Ausland ist, macht er sich Sorgen um Deutschland. Voriges Jahr beispielsweise war der 43-Jährige in Tschechien erstaunt, dass "ich mit meinem Handy noch im tiefsten Wald Internet hatte". Zuhause in Holzhausen im Ederbergland kann der Ortsvorsteher des zur Gemeinde Hatzfeld gehörenden Dorfes sein Smartphone jedoch nur mit W-Lan nutzen. Die 480 Einwohner leben in einem großen Funkloch.

"Für ein Hochtechnologieland kann das nicht sein. Deutschland ist eine Bananenrepublik", sagt Zissel. Orte wie Holzhausen gibt es viele in der Region. Im 30 Kilometer entfernten Oberholzhausen bei Haina etwa hatte HNA-Redakteurin Martina Biedenbach vor drei Jahren eine Autopanne. Weil sie keinen Empfang hatte, konnte sie keine Hilfe holen. Freundliche Dorfbewohner retteten die Journalistin aus dem stürmischen Schneeregen. Am weißen Fleck auf der Mobilfunk-Landkarte hat sich bis heute nichts geändert. Und in den Melsunger Stadtteilen Kehrenbach und Kirchhof gab es bis vor Kurzem ebenfalls gar kein Netz. Durch die Zusammenlegung der Netze von O2 und E-Plus bauten die Betreiber doppelt vorhandene Anlagen ab. Mehrere Monate lang konnten Kunden gar nicht mit dem Handy telefonieren.

Oliver Zissel, Ortsvorsteher von Holzhausen
Oliver Zissel © Jörg Paulus

Während Menschen in Berlin und anderen Großstädten fast ausschließlich über Smartphones kommunizieren, unterwegs Musik streamen und Videos schauen, ist die Provinz abgehängt von der nächsten Funkzelle. Mit Verspätung hat das nun auch die Politik gemerkt. Andreas Scheuer, neuer Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur, hält die Situation für "untragbar für eine Wirtschaftsnation. Wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Bürger nicht im Funkloch stecken bleiben." Darum soll es noch vor der Sommerpause einen Mobilfunkgipfel in seinem Berliner Ministerium geben. Zudem verspricht der CSU-Politiker eine App, mit der man "nach dem Modell von Staumeldern" Funklöcher melden kann.

Diese Karte zeigt die von unseren Lesern gemeldeten Funklöcher. Wenn Sie ein weiteres Funkloch melden wollen, klicken Sie bitte hier.

In Niedersachsen gibt es bereits ein ähnliches Angebot. Im April richtete das für Digitalisierung zuständige Wirtschaftsministerium in Hannover ein Internet-Portal ein, über das Probleme mit Mobilfunkanbietern und Lücken im Netz gemeldet werden können. Holzhausens Ortsvorsteher Zissel glaubt trotzdem nicht, dass sich an der Situation im Land sobald etwas ändert. Mit seinem Anbieter Vodafone hat er schlechte Erfahrungen gemacht: "Für seinen Vertrag bezahlt man einen Haufen Geld, der dann für die Katz ist. Die Anbieter sind nur an den Ballungsräumen interessiert." Wenn sich von dort dann mal jemand ins idyllische Ederbergland verirrt, ist er erstaunt. "Für die ist das wie im Mittelalter hier", sagt Zissel, der vor den Folgen der mangelhaften Digitalpolitik warnt: "Wir können nicht alle in die Stadt ziehen."

Das Video ist Inhalt der Videoplattform Glomex und wurde nicht von der HNA erstellt.

Günther Schmoll
Günther Schmoll © nh

Auch Günther Schmoll bleibt auf dem Land. Der 63 Jahre alte Ortsvorsteher des Melsunger Stadtteils Kehrenbach ist gerade Rentner geworden und hat nun noch mehr Zeit, sich über die Mobilfunkfirmen und die Politik zu ärgern. "Handy-Empfang und Internetanschluss sind lebenswichtig", sagt er. Zwischenzeitlich konnten in seinem 320-Einwohner-Dorf nicht einmal die Feuerwehrleute alarmiert werden, weil deren Handys kein Netz hatten. Wenn Firmen wie O2 mit den wenigen Kunden auf dem Land keine Gewinne machen können, müsste es seiner Ansicht nach staatliche Zuschüsse geben: "Dann kauft die Bundeswehr halt einen Panzer weniger."

Solche Forderungen sind nicht neu - und trotzdem hat sich kaum etwas geändert. Fragt man bei Mobilfunkunternehmen nach, wird offen eingestanden, dass man ein Wirtschaftsunternehmen sei und gerade Mittelgebirgsregionen auf dem Land nicht rentabel seien. In der Schweiz, wo die Berge höher und die Täler weniger dicht besiedelt sind und es trotzdem eine Netzabdeckung von 100 Prozent gibt, schmunzelt man wahrscheinlich darüber.  

Hierzulande bleibt nur Galgenhumor. Schmolls Holzhäuser Kollege Zissel sagt gern: "Bei uns ist es egal, mit welchem Anbieter sie keinen Empfang haben."

Es gibt jedoch auch Orte, an denen man das anders sieht. Auch das Kloster Marienheide bei Waldkappel-Harmuthsachsen im Werra-Meißner-Kreis liegt im Tal der Ahnungslosen. Hier funktioniert kein Handy. Manager und andere Gäste, die sich hier in die Ruhe zurückziehen, um Kraft zu tanken, haben sich jedoch noch nie beschwert. "Die sind froh, wenn sie keinen Empfang haben", sagt eine Schwester der "Monastischen Ordensfamilie von Bethlehem". Fragt man sie, ob sie ein Mobiltelefon habe, lacht sie laut und sagt: "Nein, wir vermissen nichts."

Auf dieser Karte werden von Lesern gemeldete Funklöcher zu Flächen zusammengefasst. Je dunkler eine Fläche ist, desto mehr Funklöcher wurden dort gemeldet.

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