1. Startseite
  2. Welt

Putin droht im Ukraine-Krieg mit Atomwaffen – Wie groß ist die Gefahr?

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Sarah Neumeyer

Kommentare

Russlands Präsident Wladimir Putin droht im Ukraine-Krieg mit Atomwaffen – die Angst vor einem nuklearen Schlag steigt. Doch ist die Gefahr wirklich so groß?

Moskau – Der russische Präsident Wladimir Putin hat eine Alarmbereitschaft für „Abschreckungswaffen“ befohlen. Obwohl Putin das Wort Atomwaffen nicht aussprach, wurde dies weltweit als Drohung mit dem atomaren Arsenal verstanden. Bei vielen weckte es Erinnerungen an den Kalten Krieg. Die Angst vor einem dritten Weltkrieg wächst. Doch wie groß ist die Gefahr, dass der Ukraine-Krieg in einen Atomkrieg mündet? Und welchen Schaden könnte das anrichten?

Grundsätzlich sind Russlands Atomwaffen immer einsatzbereit. Trotzdem gibt es in Russland verschiedene Stufen der Mobilmachung für die Streitkräfte. Putin hat die strategischen Abschreckungswaffen, zu denen auch die nuklearen gehören, im Ukraine-Konflikt in erhöhte Kampfbereitschaft versetzen lassen – das sei die zweite Stufe vor der vollen Kampfbereitschaft, sagt der Generalmajor Boris Solowjow der Zeitung Komsomolskaja Prawda.

LandUkraine
HauptstadtKiew
PräsidentWolodymyr Selenskyj
Bevölkerung44,13 Millionen (2020)

Ukraine-Krieg: Putin ruft erhöhte Alarmbereitschaft aus – Experte: „Stehen nicht vor Atomkrieg“

Stufe zwei bedeute, „dass die Kommandolinks hergestellt wurden, um überhaupt einen Abschussbefehl geben beziehungsweise eine Waffe armieren zu können“*, erklärt Osteuropa- und Militärexperte Gustav Gressel gegenüber merkur.de. Konkret heiße das, dass Kabel in die entsprechenden Waffen gesteckt werden, damit man sie überhaupt abschießen könne. „Dann kann in jedem beliebigen Moment der ‚rote Knopf‘ betätigt werden“, so Solowjow. In Kampfbereitschaft versetzt wurden die strategischen Raketentruppen, die Nord- und die Pazifik-Flotte und die Fernfliegerkräfte. Laut dem Militärexperten und Politologen Carlo Masala gibt es vier Stufen der Alarmbereitschaft. Vor einem Atomkrieg stehe man derzeit noch nicht, sagt Masala gegenüber dem ZDF.

Das sind die Stufen der Mobilmachung der russischen Streitkräfte:

Ukraine-Krieg: Russland ist im Besitz von mehr als 6000 Atomwaffen

Um einen Atomkrieg auszulösen, gibt es in Russland drei Atomkoffer. Einen davon hat das russische Staatsoberhaupt Wladimir Putin. Ein weiterer ist beim Verteidigungsminister und der letzte beim Generalstabschef. „Dieses System dient als Absicherung gegen einen beliebigen Fehler bei der Anwendung von Atomwaffen“, sagt Solowjow.

Insgesamt hat Russland im weltweiten Vergleich die meisten Atomwaffen. Das geht aus Daten des schwedischen Friedensforschungsinstituts Sipri hervor. Das Institut geht davon aus, dass es weltweit etwa 13.000 Atomwaffen gibt, 5500 davon in den Händen der USA und 6255 in den Händen Russlands. Im Vergleich zu den Hochzeiten des Kalten Krieges mit etwa 70.000 Atomwaffen gibt es mittlerweile deutlich weniger, dafür sind die Atomwaffen inzwischen moderner und schlagkräftiger.

Dieses vom russischen Fernsehsender RU-RTR via AP zur Verfügung gestellte Standbild aus dem Jahr 2018 zeigt den Start einer neuen Sarmat-Interkontinentalrakete. Nuklear bestückbare Interkontinentalraketen mit unbegrenzter Reichweite sind ein Beispiel aus einem ganzen Arsenal neuer atomarer Waffen, das Präsident Putin in seiner Rede an die Nation präsentierte. (Archivbild)
Dieses vom russischen Fernsehsender RU-RTR via AP zur Verfügung gestellte Standbild aus dem Jahr 2018 zeigt den Start einer neuen Sarmat-Interkontinentalrakete. Nuklear bestückbare Interkontinentalraketen mit unbegrenzter Reichweite sind ein Beispiel aus dem Arsenal atomarer Waffen. (Archivbild) © RU-RTR Russian Television/AP/dpa

Ukraine-Krieg: USA und Russland haben insgesamt knapp 12.000 Atomwaffen

Darüber, wie viele Atomwaffen in Europa stationiert sind, gibt es keine offiziellen Angaben. Nach Schätzung des US-Forschungsinstituts Center for Arms Control and Non-Proliferation lagern etwa 100 US-Atomwaffen in fünf europäischen Nato-Staaten: Deutschland, Belgien, Niederlande, Italien und Türkei. Außerdem besitzt Großbritannien laut Sipri 225 Atomwaffen und Frankreich 290. Weltweit sind insgesamt neun Länder im Besitz von Atomwaffen und gehören damit zu den Atommächten.

Russland verfügt über Raketen aller Reichweiten. Die mit Atomsprengköpfen bestückbaren Langstreckenbomber lässt Putin schon seit Jahren immer wieder um den Erdball kreisen. Die Interkontinentalraketen fliegen über 10.000 Kilometer. Die Sarmat-Interkontinentalraketen (NATO-Codename: SS-X-30 Satan 2) haben 18.000 Kilometer Reichweite. Damit kann Russland sowohl über den Nord- als auch über den Südpol angreifen und Ziele weltweit erreichen.

LandAtomwaffen 2021
USA5550\t
Russland6255\t
Großbritannien225\t
Frankreich290\t
China350\t
Indien156\t
Pakistan165\t
Israel90\t
Nordkorea[Schätzung: 40–50]
Insgesamt13.080
Quelle: Sipri Jahrbuch 2021

Nur ein Bruchteil der russischen Atomwaffen sei jedoch an Land, im Wasser und in der Luft einsetzbar, so der Direktor des Nuclear Information Project der Federation of American Scientists, Hans Kristensen. Er schätze 2021, dass sich in Putins Arsenal etwa 4500 nukleare Sprengköpfe befinden, welche in Langstrecken-Startvorrichtungen sowie auf Kurzstrecken taktisch verwendet werden können, berichtet merkur.de

Militärisch unterschieden wird zwischen strategischen und taktischen Atomwaffen. „Während strategische Nuklearwaffen ganze Landstriche zerstören, lassen sich kleine, taktische Nuklearwaffen für eine psychologische Kriegsführung einsetzen“, erklärt Marina Henke, Direktorin des Centre for International Security an der Hertie School im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Ukraine-Russland-Konflikt: Atomwaffen wohl auch in Deutschland stationiert

In Deutschland sind nach Expertenschätzungen aktuell etwa 15 bis 20 Bomben der USA stationiert, die auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel lagern. Offizielle Angaben gibt es dazu zwar nicht. Es gilt aber als offenes Geheimnis, dass es sich um Bomben vom Typ B61-4 handelt. Diese haben eine Sprengkraft von bis zu 50 Kilotonnen - viermal so viel wie die Bombe, die vor fast 80 Jahren die japanische Großstadt Hiroshima in Schutt und Asche legte. Die Bomben von Büchel sind Deutschlands Beteiligung an der nuklearen Abschreckung der Nato. Sollten sie zum Einsatz kommen, würden Kampfjets der Bundeswehr sie zum Ziel transportieren und abwerfen.

Ein Tornado-Kampfflugzeug des Luftwaffengeschwaders 33 aus Büchel landet auf dem Fliegerhorst des taktischen Luftwaffengeschwaders 73 Steinhoff in Rostock-Laage. Die deutsche Luftwaffe trainierte 2018 mit Nato-Partnern für das Schreckensszenario eines Atomkriegs.
Ein Tornado-Kampfflugzeug des Luftwaffengeschwaders 33 aus Büchel landet auf dem Fliegerhorst des taktischen Luftwaffengeschwaders 73 Steinhoff in Rostock-Laage. Die deutsche Luftwaffe trainierte 2018 mit Nato-Partnern für das Schreckensszenario eines Atomkriegs. © Rainer Jensen/dpa

Wird der Ukraine-Krieg zum Atomkrieg: Nato nimmt Drohung ernst

Doch wie groß ist die Gefahr, dass es zu einem Atomkrieg kommt? Putins Drohung erfolgte einen Tag, nachdem sich die westlichen Verbündeten auf weitere harte Wirtschaftssanktionen verständigt hatten - und Deutschland als weiterer von inzwischen zahlreichen Nato-Staaten Waffenlieferungen in die Ukraine ankündigte. Die Drohung sei ernst zu nehmen, sagten Vertreter von Nato-Staaten, darunter auch Außenministerin Annalena Baerbock. Expertinnen und Experten schätzen die Gefahr eines Atomkrieges aktuell als gering ein.

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, hält die Aussagen von Waldimir Putin zu den Atomstreitkräften für relevant, aber nicht unmittelbar besorgniserregend. „Wir nehmen diese Aussage ernst“, sagte Zorn am Montagabend im Heute-journal des ZDF. „Wir verfolgen natürlich mit unseren Mitteln, was sich da gerade tut.“ Dazu gebe es auch engen Austausch innerhalb der Nato. „Ich kann aber noch nirgendwo erkennen, dass in irgendeiner Form tatsächlich Alarmierungsmaßnahmen umgesetzt wurden und wir von einer konkreten Bedrohung in der Praxis ausgehen müssen“, betonte Zorn.

Ukraine-Krieg: Atomkrieg laut Experten unwahrscheinlich, aber „potenzielle Folgen sind enorm“

„Wir stehen nicht unmittelbar vor einem Atomkrieg. Es ist auch unwahrscheinlich, dass Putin diese Karte ziehen wird“, sagte auch Militärexperte Masala. „Ich denke nicht, dass die Wahrscheinlichkeit eines Atomwaffeneinsatzes sehr hoch ist. Aber sie ist höher, als sie es vor einer Woche war“, so die Einschätzung von James Acton, Co-Direktor des Nuklearpolitik-Programms der Carnegie-Stiftung. Allerdings warnte Acton auch: „Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit vermutlich noch ziemlich niedrig ist – die potenziellen Folgen sind enorm. Es besteht also ein sehr ernstes Risiko.“

„Es ist sehr, sehr unwahrscheinlich, dass Putin das machen würde. Er nutzt das eher als psychologisches Druckmittel. Aber wir müssen auch sagen: Theoretisch hätte er die Möglichkeiten für einen Atomschlag“, erklärt auch Marina Henke gegenüber dem ZDF. „Sollte Putin tatsächlich eine Nuklearwaffe einsetzen, könnte er eine kleinere taktische Bombe in einer unbewohnten Gegend wie dem Schwarzen Meer oder der Ostsee einschlagen lassen“, so Henke. Das würde zwar die Umwelt dort verseuchen, aber Menschen würden nicht direkt zu Schaden kommen.

„Das ist verbales Säbelrasseln“, sagt der Nuklearwaffenexperte Hans Kristensen der New York Times. Er betont: „Wir werden sehen, wohin er (Putin) damit steuert. Dieser Krieg ist erst vier Tage alt und er hat bereits zweimal mit Atomwaffen gedroht.“ Matthew Kroenig, der ebenfalls zu Atomwaffen forscht, sagt der Zeitung: „Staaten mit Atomwaffen können keinen Atomkrieg führen, weil sie damit ihre Auslöschung riskieren würden, aber sie können damit drohen und tun es auch.“ Es sei eine Art Spiel, um das Kriegsrisiko zu erhöhen, „in der Hoffnung, dass die andere Seite einen Rückzieher macht und sagt: ‚Oh je, das ist es nicht wert, einen Atomkrieg zu führen.‘“ Um Putins Gesundheitszustand ranken sich aktuell Gerüchte. (Sarah Neumeyer mit dpa) *merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen und Leser,
wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.
Die Redaktion