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„Als Vorbild ungeeignet“: Jugendamt streicht Klima-Kleber von Schöffenliste – trotz jahrelangem Engagement

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Von: Stefan Aigner

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Prozess gegen Klimaaktivisten
Klimaaktivist Simon Lachner (re.) im Gespräch mit einem Mitstreiter. © Lennart Preiss/dpa

Weil man ihn als Klimakleber in Regensburg kennt, hat das Jugendamt einen Bewerber um die Wahl zum Jugendschöffen von der Vorschlagsliste gestrichen.  

Regensburg – Ein wenig enttäuscht ist Simon Lachner doch. „Das ist sehr schade. Ich hätte mich für eine gute Ergänzung gehalten.“ Doch Lachners Ansinnen, sich als Jugendschöffe für Amts- und Landgericht in Regensburg zu bewerben, hat das Jugendamt bereits von vorneherein einen Riegel vorgeschoben. Begründung: Er ist ein sogenannter Klima-Kleber.

Jugendschöffen: Die Stadträte bekommen eine Vorauswahl

Seit letzten Freitag liegt die offizielle Vorschlagsliste für die Jugendschöffinnen und -schöffen zur Einsicht im Jugendamt aus. Die Namen von 96 Männer und Frauen stehen darauf, die sich für die kommenden fünf Jahre als ehrenamtliche Richterinnen bei Jugendstrafsachen engagieren wollen.

Das Procedere ist klar geregelt: Zunächst segnet der Jugendhilfeausschuss des Regensburger Stadtrats die Liste ab, nach der öffentlichen Auslegung hat anschließend der Schöffenwahlausschuss am Amtsgericht Regensburg das letzte Wort. Angesichts der Vielzahl von Bewerbungen trifft das Jugendamt aber bereits eine Vorauswahl, vor allem deshalb, weil nicht alle die zwingend notwendigen Voraussetzungen erfüllen.

Jugendamt sortiert vor – nach Alter, Kompetenz, Beruf und...

Eine Bewerberin wurde beispielsweise heuer abgelehnt, weil sie zum Stichtag am 1. Januar 2023 das Höchstalter von 69 Jahren schon überschritten hat. Zwei Bewerber und eine Bewerberin kommen nicht in Frage, weil sie nicht im Stadtgebiet Regensburg wohnen. 14 Personen strich das Jugendamt, weil sie nicht die notwendige Erfahrung im Bereich Jugenderziehung vorweisen können. Zwölf Bewerberinnen hatten das Nachsehen, weil sie Lehrerinnen sind und diese Berufsgruppe überrepräsentiert ist.

Zum einen geht es nämlich darum, einen gewissen Querschnitt der Bevölkerung abzubilden. Und zum anderen soll die Vorschlagslisten den von Amts- und Landgericht gemeldeten Bedarf – 88 Schöffinnen und Schöffen – nicht wesentlich überschreiten.

Jugendamt streicht Klima-Kleber von der Liste: „Als Vorbild ungeeignet“

Die Ablehnung einer Person im Vorauswahlverfahren sticht allerdings etwas heraus. In der anonymisierten Vorlage des Jugendamts für die Stadträtinnen und Stadträte ist beim Bewerber mit der Nummer 42 zu lesen, dass er als „sog. ‚Klima-Kleber‘ bekannt“ sei. „Durch diese strafrechtlich relevanten Aktionen ist er als Vorbild für junge Menschen, die wegen einer Straftat vor Gericht stehen, ungeeignet und eine erzieherische Kompetenz zweifelhaft.“ Er wurde deshalb bereits vorab von der Liste gestrichen.

Bei dem Klima-Kleber, dem das städtische Jugendamt eine zweifelhafte erzieherische Kompetenz bescheinigt, handelt es sich nach Informationen unserer Redaktion um den Elektroingenieur Simon Lachner, ein bekanntes Gesicht der „Letzten Generation“ in Regensburg.

Klima-Kleber von Schöffenliste gestrichen: Er hat keine Vorstrafen

Derzeit muss er sich zusammen mit sechs anderen Aktivisten am Landgericht Regensburg wegen des Vorwurfs der Nötigung verantworten. Vorstrafen oder rechtskräftige Verurteilungen liegen bei Lachner allerdings nicht vor.

Vom Amtsgericht München wurde er zwar wegen einer Blockadeaktion im vergangenen Jahr zu 40 Tagessätzen verurteilt. Die Entscheidung ist aber nicht rechtskräftig. Es läuft die Berufung.

Klima-Kleber von Schöffenliste gestrichen: Jahrelanges Engagement in der Jugendarbeit

Die rein formalen Voraussetzungen für das Schöffenamt erfüllt Lachner also. Denn nur, wer zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt wurde oder gegen wen wegen einer schweren Straftat ermittelt wird, die zum Verlust der Übernahme von Ehrenämtern führen kann, ist per se von der Wahl ausgeschlossen. Lachners jahrelanges Engagement in der kirchlichen Jugendarbeit ist unstrittig. Er wurde dafür bereits ausgezeichnet.

Wolfgang Kronauer ist Jugendreferent und Leiter der Jugendstelle im Bistum Eichstätt. Er hat dort mit Lachner bis vergangenes Jahr bei der Ausbildung von Jugendleitern zusammengearbeitet und lobt den jungen Mann als „sehr reflektiert und engagiert“. „Unabhängig von den formalen Voraussetzungen hätte ich ihn mir von seiner Persönlichkeit gut als Schöffe vorstellen können.“

Klima-Kleber von Schöffenliste gestrichen: Er wollte auch als Gegengewicht zur AfD kandidieren

Auch Lachner glaubt, dass er aufgrund seiner Erfahrungen im Rahmen der Jugendarbeit ein guter Schöffe geworden wäre. Aber auch, weil er gut nachvollziehen könne, was Gerichtsprozesse für junge Menschen bedeuten können. Er habe sich sehr bewusst als Jugendschöffe beworben. Auch deshalb, weil die AfD unter ihren Mitgliedern massiv dafür mobilisiert habe. Da brauche es ein Gegengewicht.

Dass ein Amt in der Verwaltung seine Eignung in Zweifel gezogen habe und er sich deshalb nicht einmal zur Wahl stellen dürfe, habe auch etwas von einer Vorverurteilung. „In der Justiz dürfte man so nicht arbeiten“, sagt Lachner. Allzu erschüttert sei er aber jetzt auch nicht. „Ich bin ja auch so schon oft genug beim Gericht.“

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