Wer die Welt retten will, darf keine Kinder bekommen, sagt diese Lehrerin

Für Verena Brunschweiger sind Eltern Egoisten, Kinderkriegen hält sie für die größte Klimasünde. Im Interview sagt sie: Nur wer keine Kinder hat, kann links, ökologisch und feministisch sein.
Haben Sie schon einmal daran gedacht, sich das Leben zu nehmen?
Nein.
In Ihrem Buch "Kinderfrei statt kinderlos" schreiben Sie, Kinder seien "das Schlimmste, was man der Umwelt antun kann". Wäre da Selbstmord nicht am konsequentesten? Gemäß dem Slogan "Save the planet, kill yourself"?
Das ist ein beliebtes Klischee, das oft hingeklatscht wird. Ich verstehe das nicht. Ich will sozusagen an der „Neuproduktion“ sparen, weil wir Leute nicht einfach umbringen können, die schon da sind, genauso wenig Tiere oder Pflanzen. Man muss die „Nachproduktion“ immer ein bisschen zurückfahren, wenn man merkt, dass schon mehr als genug da ist.
Neuproduktion ist ein sehr technokratischer Begriff für den menschlichen Nachwuchs. Zentral für ihre Thesen ist eine Studie der University of British Columbia in Vancouver, laut der ein Kind weniger 58,6 Tonnen Kohlendioxid im Jahr einspart. Das ist deutlich mehr, als wenn man ohne Auto lebt (2,4 Tonnen jährlich). Ist es nicht zynisch, einen Menschen mit einem Auto zu vergleichen?
Ich vergleiche ja eben nicht Menschen mit einem Auto, sondern nur ungeborene potenzielle Menschen, die in meinen Eierstöcken schlummern. Das ist nur ein populäres Missverständnis von Menschen, die mir gern jedes Wort im Mund umdrehen, sodass es negativ klingt. Das sind aber nur diejenigen, die nicht nachdenken.
Wann haben Sie sich dagegen entschieden, Kinder zu bekommen?
Als mein Mann und ich vor acht Jahren geheiratet haben, haben wir uns überlegt: Wollen wir so ein Projekt? Wollen wir ein eigenes Kind? Weil ich das eine extrem wichtige Entscheidung finde, die ein Leben verändert, wollte ich das nicht einfach übers Knie brechen wie manch andere. Also habe ich angefangen zu recherchieren und die ganzen Sachen gefunden.
Schon 2007 bin ich auf einen Artikel einer New Yorker Autorin gestoßen, in dem es heißt: "Kein Kind wegen der Umwelt." Das fand ich cool. Zugleich fand ich es schade, dass dies bei uns niemand beachtet. Ich sagte mir: Dann bin ich halt die erste, die das hier ausspricht. Wenn ein Kind so eine Belastung ist, tue ich das der Umwelt lieber nicht an.
Sie fordern eine Ein-Kind-Politik. Aber wer zwei Kinder bekommt, trägt schon mathematisch nicht zum Bevölkerungswachstum bei. In Deutschland gibt es statistisch 1,5 Geburten pro Frau. Wäre es nicht sinnvoller, dass wir endlich unsere Lebensweise ändern und etwas gegen die Überbevölkerung in anderen Teilen der Welt machen?
Das ist ein bisschen rassistisch und blauäugig. Es braucht 30 afrikanische Kinder, damit die so viel Ressourcen verbrauchen wie ein deutsches Kind. Ein deutsches Kind verbraucht also genauso viel wie eine ganze Schulklasse dort. Das ärgert mich zu Tode. So wenig Kinder können die Afrikaner gar nicht kriegen. Und vor allem will bei uns fast niemand den Verbrauch wirklich einschränken.
Ich sehe zum Beispiel, wie die Kinder schon wieder ein neues Smartphone bekommen, Fleisch essen und im Sommer in den Urlaub fliegen. Das sind alles Dinge, die ich nicht mache. Wenn niemand etwas macht, wird es schon früher als 2040 in den Graben gehen, wie es jetzt schon prophezeit wird.
Trotzdem könnten wir doch versuchen, unsere Lebensweise jetzt zu verändern.
Das würde nichts ändern. Es ist immer ein geringerer Beitrag als der, der nötig wäre. Ich zum Beispiel esse kein Fleisch, fliege nicht, habe kein Auto und keine Kinder. Und trotzdem wären, wenn alle so leben würden, mehr als zwei Erden nötig. Leute, die das alles machen, bräuchten 16 Erden. Wir haben aber nur eine. Deshalb müssen wir einfach weniger Menschen werden. Dringend.
Sie verzichten auf ganz schön viel.
Ich lobe mich wirklich selten, aber in Sachen ökologischer Fußabdruck bin ich echt gut unterwegs. Allein kann ich es trotzdem nicht richten. Wenn niemand mitmacht, ist das schade.
Vermissen Sie im Alltag etwas?
Eigene Kinder nicht. Ich habe meine Schüler und Freunde, die Eltern sind. Es ist nicht so, dass ich keinen Kontakt mit Kindern hätte. Die anderen Sachen waren schon eine Umstellung. Ich habe hier in Regensburg ein ziemlich cooles veganes Kaffee, in das ich oft gehe. Und in den Urlaub fahren wir nach Italien statt nach Timbuktu. Das kann man schon alles machen. Es bringt einen nicht um.
Wie werden Sie und andere Frauen stigmatisiert, die sich gegen Nachwuchs entscheiden?
Da gibt es die Diskriminierungen im Job. Ich habe zehn Jahre auf meine Wunschschule warten müssen, weil die Eltern unter meinen Kollegen mir vorgezogen wurden. Ich finde es krass, dass man Menschen, die sich reproduzieren, über eine so lange Zeit besser behandeln kann. Das widerspricht auch dem allgemeinen Gleichstellungsgesetz. Das hat mich persönlich ziemlich umgehauen. Als kinderfreie Frau hat man das Gefühl, dass unsere Stimme nicht zählt. Man fühlt sich nicht wertgeschätzt, sondern marginalisiert und in die Spinner-Ecke gedrängt.
Wir haben eine Bundeskanzlerin, die auch keine Kinder hat.
Manche haben ihr gerade deswegen Vorwürfe gemacht. Doris Schröder-Köpf zum Beispiel schrieb, dass Merkel gar nicht empfinden könne, was eine normale deutsche Frau empfindet. Das finde ich unglaublich.
Kinderlos: Ist das diskriminierend?
Für Sie ist schon das Wort "kinderlos" diskriminierend. Diskriminiert das Wort "kinderfrei" aber nicht Kinder als eine Art Geiselnehmer?
Nein, gar nicht. Ein Fan schrieb mir kürzlich, dass das Wort "kinderlos" alle Frauen diskriminiert und abwertet. Das sehe ich auch so. Kinderlos sind Frauen, die gern Kinder hätten, aber aus welchen Gründen auch immer nicht schwanger werden können und darum extrem traurig sind. Aber das bin nicht ich.
Sie sagen, die meisten würden nur aus egoistischen Gründen Eltern. Was ist daran schlimm? Andere verzichten aus egoistischen Gründen ja auf Kinder. Sie selbst sind so egoistisch, dass Sie sagen: "Kein Kind verdient es, dass ich meine hart erkämpfte Freiheit aufgebe."
Ich handele ja nicht nur egoistisch. Ich frage mich auch: Was tue ich dem Kind mit dieser Umwelt an. Im Jahr 2019 finde ich es nicht mehr verantwortungsvoll, Kinder in die Welt zu setzen. Der "Guardian" schrieb gerade, dass wir 2040 große Ressourcenkämpfe und soziale Unruhen haben werden. Mein Kind wäre da 21. Das kann ich vor meinem Gewissen nicht verantworten. Ich bin überrascht, dass das andere Leute scheinbar problemlos können. Das darf ich schon egoistisch nennen.
Angeblich mussten Sie einmal umziehen, weil die Familie in der Wohnung über Ihnen so laut war. War es wirklich so schlimm?
Es war unerträglich. Sonst wären wir ja nicht umgezogen. Man konnte in der Wohnung weder leben noch arbeiten. Sprach man die Eltern darauf an, kam der prollige Satz: "Das sind ja Kinder." Aus meinem Beruf weiß ich, dass man Kinder gut erziehen kann, aber man muss sich diese Mühe auch mal machen. Die Kinder können nichts dafür, aber die Eltern waren sehr rücksichtslos.
Kinderlos statt "Fridays for Future"
Etwas prollig formuliert: Arschlochkinder kann es in der Regel nur geben, wenn es Arschlocheltern gibt.
Das stimmt. Meine Schüler sind sehr angenehm.
Liegt das an Ihnen oder an den Eltern?
Sowohl als auch. Aber an genügend anderen Schulen, am Bahnhof oder an Bushaltestellen merkt man sehr deutlich, dass manche Eltern ihren Erziehungsauftrag nicht ernst nehmen. Die kriegen die Kinder, dann werden sie wie gottgleiche Wesen angebetet. Erziehung findet nur teilweise statt. Natürlich führen sich die Kinder dann so auf. Ihnen werfe ich das aber nicht vor. Es sind immer die Eltern schuld.
Gerade gehen tausende Schüler bei der "Fridays for Future"-Bewegung für mehr Klimaschutz auf die Straße. Stellen Sie bei den Jugendlichen ein Umdenken fest?
Teils teils. Einerseits finde ich die Proteste gut. Andererseits spielen viele mit dem Smartphone rum, fliegen in Urlaub und essen Döner. Man muss ihnen klarmachen, dass die Demos das eine sind und der Lebensstil das andere. Mir tun die Schüler aber grundsätzlich vor allem leid, weil sie keine schöne Zukunft haben werden.
Sie schreiben, Frauen, die Kinder bekommen, würden sich auf dem "patriarchalen Altar" opfern und nach den progressiven 70er- und 80er-Jahren "direkt in den 50ern landen". Kann man als Mutter noch links, ökologisch und Feministin sein?
Auch darüber habe ich vorhin mit einem Fan gesprochen. Er meinte: Das geht nicht. Manche Mütter biegen sich das alles so hin, damit sie sich noch als linke ökologische Feministinnen definieren können. Für mich persönlich schließt sich das aus. Darum bin ich ja keine Mutter.
Sie scheinen in regem Austausch mit Ihren Lesern zu stehen.
Ja, ich bekomme jeden Tag Fan-Post von führenden intellektuellen deutschen Köpfen. Das ist nicht die Masse.
Angeblich mögen Sie Shitstorms. Wie ist es, wenn alle auf einen draufhauen?
Eben deswegen liebe ich Shitstorms. Das ist die prollige Masse. Und die hatte noch nie recht. Oft denke ich an die Hexenverbrennung. Fans vergleichen mich mit Galileo Galilei. Ich stehe in einer guten Tradition. Die schlimmen Kommentare bei Facebook und Twitter schaue ich mir nicht an. Man weiß ja, wie sich Antisoziale in „Auskotzforen“ äußern. Außerdem habe ich Besseres mit meiner kostbaren Zeit zu tun.
Sie bringen eine Prämie für kinderfreie Frauen ins Spiel, zum Beispiel 70.000 Euro zum 50. Geburtstag. Können Sie sich vorstellen, wie so ein Vorschlag bei Eltern ankommt, die ungefähr dieselbe Summe in die Erziehung ihrer Kinder gesteckt haben, die später wiederum die Rente der Kinderlosen finanzieren?
Das ist mir ziemlich wumpe. Man kann nicht immer nur das reaktionäre Modell prämieren, das für die Umwelt schlecht ist. Wir werden auch keine Rente mehr brauchen, wenn wir keine saubere Luft und kein sauberes Wasser mehr haben.
Wir sehr macht es Ihnen Spaß zu provozieren?
Bisweilen ein bisschen. Mich wundert aber eher, dass sich die Leute so sehr in ihren Instinkten getroffen fühlen. Ich informiere sachlich, und die gehen so ab. Das ist dann nicht mein Bier.
Sie sind Lehrerin. Was machen Sie, wenn es irgendwann keine Kinder mehr gibt?
Das wird nicht der Fall sein. Aber für Ihre Frage: Ich habe viele andere Talente. Dann mache ich halt was anderes. Schon jetzt singe ich im Chor in Regensburg. Demnächst führen wir den Freischütz auf. Ich spiele Klavier und lese Bücher in fünf Sprachen. Was Künstlerisches könnte ich auf jeden Fall machen.
Was würden Sie machen, wenn Sie doch schwanger würden?
Verhütungsmäßig habe ich es 38 Jahre geschafft. Dann werde ich die letzten paar Jahre auch noch rumkriegen. Trotzdem: Für mich ist Abtreibung eine Option. Auf jeden Fall. Ein Kind kommt für mich nicht infrage. Ich kann ja nicht gegen meine innersten Überzeugungen handeln. Und es wäre fies dem Kind gegenüber, ihm so eine Zukunft und Umwelt zuzumuten.
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Verena Brunschweiger: Karriere, Privates
- Alter: 38
- Ausbildung: Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie/Ethik. Promotion in Mediävistik
- Beruf: Brunschweiger unterrichtet an einem Regensburger Gymnasium Deutsch, Englisch und Ethik
- Privates: Lebt mit ihrem Mann in Regensburg
- Das Buch: "Kinderfrei statt kinderlos. Ein Manifest" (150 Seiten, 16 Euro) ist im Marburger Büchner-Verlag erschienen. Zuvor schrieb Brunschweiger "Fuck Porn!: Wider die Pornografisierung des Alltags"