Putins volle Kriegskasse: Der Preis der verschleppten Energiewende

Russland liefert immer weniger Gas nach Europa und Deutschland. Dazu kommt ein weiterer Preissprung. Spätestens jetzt zeigt sich: Der politische wie auch ökonomische Preis dafür, dass die Energiewende ausgebremst wurde, ist enorm, schreibt Prof. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Gastbeitrag.
Berlin – Die Hätte-Kette verpasster Chancen rund um die Energiewende ist lang. Aber es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Denn in den letzten 20 Jahren wurde mit viel Aufwand ein Zerrbild der angeblich teuren Energiewende gezeichnet. Natürlich zugunsten fossiler Industrien.
Die angeblichen Kosten der Energiewende
„Energiewende kostet eine Billion Euro!“, posaunte 2013 der damalige Umweltminister Altmaier heraus. Andere sprachen „nur“ von hunderten Milliarden. Aber immer war klar: Das viele Geld sollte man lieber in fossile statt in erneuerbare Energien oder Energiesparen investieren. Und so geschah es auch.
Dabei war die Rechnung damals schon falsch. Die angeblichen Kosten waren nicht nur viel zu hoch beziffert. Sie verwechselten sie auch mit Investitionen. Heißt: Man verschwieg den vielfältigen Nutzen der Energiewende und die damit verbundenen Einnahmen und Gewinne. Wer darauf hinwies, wurde verspottet.
Stimme der Ökonomen
Klimawandel, Lieferengpässe, Corona-Pandemie: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?
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Die Strategie ging auf. Die Energiewende wurde erfolgreich ausgebremst. Fossiles Erdgas boomte als „Brückentechnologie“. Milliarden flossen in „Stranded Investments“ und es entstanden fossile „Lock ins“, Abhängigkeiten, die wir heute schmerzhaft spüren.
Es wurden massive Barrieren und Hemmnisse für (oder besser: gegen) den Ausbau erneuerbarer Energien aufgebaut: zu wenige und fehlerhafte Ausschreibungen, Sonder-Abgaben und komplizierte Genehmigungsverfahren. Belohnt wurde nicht das Energiesparen, etwas die energetische Gebäudesanierung. Belohnt wurde die energieintensive Industrie mit üppigen Ausnahmen.
Putins Kriegskasse ist gefüllt, während Deutschland um fossile Energien bettelt
Der politische Preis ist enorm: Während Dänemark über einen russischen Gasimport-Stopp müde lächelt, hetzt unsere Regierung von einem Krisen-Treffen zum nächsten. Wir sind abhängig und erpressbar von fossilen Energielieferanten. Putins Kriegskasse ist üppig gefüllt, während wir in aller Welt um fossile Energien betteln. Und die Klimakatastrophe kündigt sich mit immer stärkeren Extremwettern an.
Und ökonomisch? Wir zahlen binnen 100 Tagen für den Import fossiler Energien 12 Milliarden Euro – nur an Russland. In den letzten zehn Jahren haben wir allein für fossile Importe nahezu eine Billion Euro bezahlt – nicht die Energiewende, sondern „die Nicht- Energiewende“ hat eine Billion gekostet. Hier ist die Quittung, Herr Altmaier!
Dabei könnte der Anteil erneuerbarer Energien in Deutschland heute bei 80 Prozent oder höher liegen. Es gäbe über 150.000 wertvolle Industriearbeitsplätze in der Photovoltaikbranche, und wir wären weniger abhängig von Lieferketten insbesondere aus China.
Es gäbe genug Handwerksbetriebe und Unternehmen, die jetzt die vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien und Energiesparen umsetzen könnten. Windabstände wären kein Streit-Thema, da dank Bürgerbeteiligung Tausende von Windparks finanziell profitieren. Solarenergie auf jedem Dach würde – im Zusammenspiel mit Heimbatterien – Stromkosten senken. Die Flugbranche hätte – wie einst angekündigt – konsequent in E-Fuels investiert. Fahrzeuge wären überwiegend elektrisch unterwegs, Bahn und ÖPNV attraktiv und preiswert.
Energiewende: Erneuerbare Energien wirken preissenkend
Sogar die gebremste Energiewende beweist: Erneuerbare Energien wirken preissenkend an der Strombörse und sparen schon jetzt in einigen Monaten bis zu neun Milliarden Euro. Die Kosten für Erneuerbare sind massiv gesunken, wovon alle Länder profitieren, allen voran Entwicklungsländer. Und Speicherbatterien, Elektromobilität oder E-Fuels hätten ein Exportschlager werden können. Hätte, hätte. Tja.
Wer derzeit ruft: „Jetzt erst einmal nicht“, macht denselben Fehler wieder. Wir müssen endlich umsteuern! Die unterlassenen Investitionen der letzten 20 Jahre hätten fulminante Wertschöpfung und wertvolle Arbeitsplätze geschaffen, die eine Volkswirtschaft dauerhaft resilient machen. Der Nutzen dieser Entwicklung wäre gigantisch gewesen – und er ist es noch. „Jetzt erst recht“, lautet die Devise.
Zur Autorin: Prof. Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin sowie Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg.
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