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Lernen vom Reparatur-Papst

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Von: Judith Köneke

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Kyle Wiens, Gründer von iFixit, greift gerne auch mal zum ganz großen Werkzeug. ifixit
Kyle Wiens, Gründer von iFixit, greift gerne auch mal zum ganz großen Werkzeug. ifixit

Was soll schon passieren? Im schlimmsten Fall bleibt kaputt, was kaputt ist: Kyle Wiens bringt Menschen bei, wie sie ein kaputtes Smartphone oder eine Wanderjacke reparieren. Hersteller wie Apple machen das aber nicht gerade leicht.

Wer hat schon mal sein Smartphone repariert“, fragt Kyle Wiens. Der Gründer und Chef der Reparaturplattform iFixit guckt in die Runde. Nur wenige Hände gehen in die Höhe bei den Teilnehmern eines Workshops auf der Me Convention in Frankfurt. Vor ihnen auf dem Tisch liegen mehrere Samsung Galaxy S4. Neben dem Handy aus dem Jahr 2013 steht ein kleiner Kasten mit Schraubenziehern und anderen Instrumenten. Mit diesem Werkzeug sollen auch Laien kleine Arbeiten am Smartphone erledigen können, wie ein gesprungenes Display oder Batterien austauschen. Aber auch Türgriffe, Küchengeräte oder Brillengestelle lassen sich reparieren. „Habt keine Angst, was kann schon passieren?“, fragt Wiens. Im schlimmsten Fall bleibe das Gerät kaputt. Das ist nicht nur sein Motto beim S4, sondern generell so, wenn es ums Reparieren geht. Und die unerfahrenen Tüftler merken: So ein Handy auszubauen, ist doch gar nicht so schwer. Einige entfernte Schrauben später liegt das Innenleben offen. „Das war ein gutes Telefon“, sagt Wiens. Denn vor allem bei den neuen Modellen klappt das nicht so einfach.

Unzufrieden mit den Airpods von Apple

Um zu zeigen, welche Smartphones, Tablets oder Laptops sich gut reparieren lassen, hat iFixit auf seiner Webseite die Rubrik Teardowns erstellt. Techniker von iFixit bauen die Geräte auseinander und beurteilen sie von eins bis zehn. Ein Telefon, das die volle Punktzahl bekommt, ist das Fairphone. Wiens ist ein großer Fan von dem nachhaltig produzierten Handy aus Holland. Der Akku und das Display lassen sich entweder mit einem Kreuzschraubenzieher oder ganz ohne Werkzeug öffnen. Visuelle Hinweise im Inneren des Handys helfen beim Zerlegen und beim Austausch der Teile und Module. 

Besonders unzufrieden ist Wiens mit den Airpods von Apple, die schnurlosen Kopfhörer nennt er „evil“, also böse, und darum bekommen sie null Punkte. Weil sich die Ladestation nicht mal öffnen lässt, um Batterien auszutauschen. Er berichtet von verzweifelten Versuchen und blutigen Händen seiner Mitarbeiter. Und dabei seien sie extrem teuer, 179 Euro muss man ausgeben. Das sei allerdings nicht nur bei den Apple-Kopfhörern so, erklärt Wiens. Viele Batterien hielten immer kürzer. Nach etwa 500 Ladevorgängen, also nach ungefähr eineinhalb Jahren, würden sie nicht mehr funktionieren. Doch nicht alle Apple-Produkte schneiden so schlecht ab. Das iPhone X erhält sechs Punkte. Konkurrent Samsung bekommt im Schnitt nur vier, die neuen Produkte würde Wiens wohl nicht mehr so loben.

Die Hersteller machen denen, die reparieren wollen, das Leben schwer. Sie stellen weder Privatkunden noch kleinen Reparaturläden Ersatzteile oder Anleitungen zur Verfügung, wie Wiens kritisiert. Apple habe sogar eine eigene Schraube entworfen, für die niemand einen Schraubenzieher hatte und es so schwierig gemacht, das iPhone zu reparieren. Und wenn es kaum Reparaturläden in der Nähe gebe, stiegen außerdem die Preise und die Qualität sinke.

50 000 kostenlose Anleitungen für Alltagsgegenstände

So entstand auch die Idee für iFixit: Die Studenten Wiens und Luke Soules wollten 2013 ein kaputtes iBook reparieren und fanden dafür online weder eine Anleitung noch Ersatzteile. Heute bietet die Plattform über 50000 kostenlose Anleitungen für Alltagsgegenstände von Kaffeemaschinen, Kleidung, aber auch Autos an. Jeder kann diese ergänzen, verbessern oder eigene Anleitungen erstellen. Mehr als zehn Millionen Menschen nutzen nach eigenen Angaben die Website im Monat. Seit 2013 gibt es iFixit auch in Europa. In Stuttgart arbeiten 50 Mitarbeiter, doppelt so viele im kalifornischen Headquarter. Finanziert wird iFixit durch den Verkauf von eigenentwickelten Werkzeugsets und Ersatzteilen. Ein kleines Set gibt es schon ab 20 Euro, der Profikasten kostet 60 Euro.

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Für Wiens steckt aber vielmehr als ein Unternehmen hinter iFixit: eine ganze Bewegung, die das Recht aufs Reparieren proklamiert: Jeder soll die Möglichkeit haben, sein Produkt zu warten, öffnen, hacken, upgraden. Reparieren spare Geld und schütze die Umwelt.

„Wir haben mehr elektronische Geräte um uns herum als jemals zuvor“, sagt Wiens. Das Problem unserer Gesellschaft sei, dass man neu kaufe, was kaputt gehe, wenn eine Reparatur gleich viel koste. Dadurch produzierten wir riesige Mengen an Elektroschrott.

Zwei Millionen Tonnen Elektroaltgeräte werden weggeworfen

Weltweit werden nach Angaben des Global E-Waste Monitors 2019 mehr als 50 Millionen Tonnen erwartet, Tendenz steigend. Und nur etwa 20 Prozent davon werden recycelt. Auch in Deutschland werden mehr als zwei Millionen Tonnen Elektroaltgeräte weggeworfen. Viele davon werden nach Afrika oder Asien geschickt. Mit jedem Gerät, das wir entsorgten, landeten wertvolle Ressourcen auf dem Müll, sagt Wiens. Deren Gewinnung hat nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Menschen in den betroffenen Ländern fatale Auswirkungen. Ein großes Problem sind hierbei auch Smartphones und was in ihnen steckt. Nicht nur die Gewinnung seltener Erden und Metalle zerstört die Umwelt, auch können die wenigsten Teile des Telefons recycelt werden.

Glücklicherweise werde die Reparaturbewegung immer größer und wichtiger, sagt Wiens. Gerade in Zeiten des Klimawandels gehe es auch darum, den Planeten zu retten. „Nicht nur wir als Nutzer sollten uns ändern, etwa an unserer Faulheit arbeiten.“ Auch die Politik müsse etwas tun – etwa Firmen auszeichnen, die Kunden Reparaturen erleichtern. Dementsprechend sollten Unternehmen umdenken und nichts produzieren, was man nicht reparieren könne. 

Es gebe schon Unternehmen, die eine andere Philosophie verfolgten, sagt Wiens. Etwa die Outdoormarke Patagonia, mit der iFixit zusammenarbeitet. Wiens berichtet von der Werbekampagne „Don’t buy this jacket“: Mit der Aktion hatte Patagonia vor maßlosem Konsum warnen wollen – und große Aufmerksamkeit erregt. Patagonia versucht, die Produkte so zu konzipieren, dass sie möglichst lange halten, betreibt ein riesiges Reparaturzentrum und eine Handelsplattform für Second-Hand-Ware. In Deutschland verfolgt die Marke Vaude ähnliche Ziele. Auf iFixit können Vaude-Kunden nachlesen, wie man einen Riss in der Jacke, eine gebrochene Schnalle am Rucksack oder abgenutzte Rollen am Trolley repariert.

Auch die Computerfirmen Dell, Lenovo und Fairphone stellen sich nicht quer und bieten online Reparaturanleitungen für ihre Produkte an. Mit Motorola habe iFixit sogar eine Kooperation, sagt Wiens. Das seien Schritte in die richtige Richtung. Und Apple kündigte im August immerhin an, künftig auch unabhängigen Reparaturwerkstätten den Zugang zu Original-iPhone-Ersatzteilen zu ermöglichen.

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