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Medwedew dreht an der Uhr

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Dimitri Medwedew will die Zahl der Zeitzonen verringern. © dpa

Moskau - Wenn an einem Ende des Riesenlandes der Tag beginnt, neigt er sich am anderen bereits dem Ende zu. Elf Zeitzonen hat Russland - vielleicht ein bisschen viel, findet die Führung.

In seiner Rede zur Lage der Nation regte Staatspräsident Dmitri Medwedew jetzt an, die Zahl der Zeitzonen zu verringern, damit das Wirtschaftsleben mehr im Takt tickt. Das Drehen an der Uhr könnte zur Folge haben, dass die Bürger von Wladiwostok tief im Osten gerade über ihren Frühstücksblini sitzen, während die chinesischen Nachbarn ein paar Kilometer weiter schon die Nudelsuppe zu Mittag schlürfen. Russland umfasst ein Neuntel der gesamten Landmasse der Erde. Von der Exklave Kaliningrad, dem früheren Königsberg, an der Ostsee erstreckt es sich über mehr als 8.800 Kilometer bis nach Tschukotka an der Bering-Straße.

Wenn die Kreml-Glocken in Moskau um 09.00 Uhr den Arbeitstag einläuten, ist es im äußersten Osten schon 18.00 Uhr. Die schiere Größe des Vaterlandes speist zwar den Nationalstolz. Aber sie behindert auch die wirtschaftliche Entwicklung, wie Medwedew zu bedenken gab. “Das Beispiel anderer Länder wie der USA oder Chinas zeigt, dass es möglich ist, mit einem geringeren Zeitunterschied auszukommen“, erklärte er. “Wir müssen die Möglichkeit prüfen, die Zahl der Zeitzonen zu reduzieren.“ In den USA beispielsweise ist das Festland über rund 4.300 Kilometer hinweg in vier Zeitzonen eingeteilt.

Aus Trotz drei Stunden später

Wie viele Medwedew gerne hätte, ließ er offen. Doch wie Gennadi Lasarew, Rektor der Wirtschaftswissenschaftlichen Universität Wladiwostok, der Nachrichtenagentur RIA Nowosti sagte, dürfte es wahrscheinlich auf vier Zonen hinauslaufen: je eine für Kaliningrad, Moskau, den Ural sowie Sibirien und den äußersten Osten. Eine Verringerung auf vier Zonen würde Lasarew zufolge vermutlich bedeuten, dass der Zeitunterschied zwischen Moskau und Wladiwostok von sieben auf vier Stunden schrumpft.

In diesem Fall ginge für die Bürger der Hafenstadt am Pazifik zu dieser Jahreszeit die Sonne schon vor 15.00 Uhr unter. “Ich begreife das nicht“, sagte die Politikwissenschaftlerin Lilia Schewzowa. “Das kann das Leben von Menschen verändern, nur weil es für Moskau so bequemer wäre.“ Befürworter argumentieren, eine Verringerung der Zeitzonen würde den tiefen Osten näher an die Hauptstadt heranrücken und anbinden. Doch die Erfahrung anderswo zeigt, dass das auch nach hinten losgehen kann.

So wurden in China unter Mao Tse-Tung die fünf Zeitzonen aus vorkommunistischer Zeit abgeschafft und die Pekinger Zeit für alle vorgegeben. Das hatte zur Folge, dass etwa die Ämter und Behörden in Kaschgar im äußersten Westen schon im Morgengrauen öffnen müssen. Manche Einwohner trotzen dem verordneten Zeit-Zentralismus und stellen ihre Uhren dreieinhalb Stunden hinter die Pekinger Zeit zurück.

“Offensichtliche Unannehmlichkeiten“

An der Uhr zu drehen sei unannehmbar, wenn die wirtschaftlichen Vorteile von gesundheitlichen Problemen durch einen gestörten Biorhythmus überwogen würden, sagte der Geograf Arkadi Tischkow von der Russischen Akademie der Wissenschaften im Sender Echo Moskaus. Um einen allmählichen Übergang zu bewerkstelligen, schlug Uni-Rektor Lasarew vor, könnte in einigen Regionen jedes Jahr auf Sommerzeit um- und dann im Herbst nicht zurückgestellt werden.

Medwedew betonte, dass die Vorteile und die “offensichtlichen Unannehmlichkeiten“ eingehend geprüft werden müssten, bevor einige Zeitzonen abgeschafft würden. Es wäre nicht das erste Mal, das Moskau der Natur ins Handwerk zu pfuschen trachtet. Zu Sowjetzeiten bereits hatte Vater Staat vergebens versucht, den Lauf großer Ströme in Sibirien umzukehren, auf dass sie nicht nutzlos ins Meer fließen, sondern zur Bewässerung dienen könnten.

In jüngster Zeit versucht die Verwaltung, das Wetter zu beherrschen: Vor Feiertagen steigen Flugzeuge auf und versprühen Chemikalien in den Wolken, damit die sich rechtzeitig ausregnen und die großen Festveranstaltungen nicht ins Wasser fallen. Bürgermeister Juri Luschkow will die Methode jetzt auch im Winter nutzen, damit der Schnee schon vor der Stadt fällt und das Räumen nicht so viel kostet.

AP

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