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Die Sprit-Lügen der Autobranche

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Der Verbrauch in der Praxis liegt über den Herstellerangaben. Grund ist eine irreführende EU-Norm. © dpa

Autos verkaufen sich immer mehr über ihren Spritverbrauch. Die offiziellen Angaben sind aber meist geschönt und realitätsfern. Experten kritisieren EU und Autohersteller gleichermaßen.

Neue Autos braucht das Land. Statt mit PS und Beschleunigung werben Autobauer neuerdings mit Kohlendioxidwerten (CO2) und Spritverbrauch. Die Freude am Fahren mutiert vielfach zur Freunde am Sparen. Wer einen Neuwagen kauft, erlebt aber oft sein blaues Wunder, weil er weit mehr verbraucht als vom Hersteller angegeben.

Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer und seine Kollegin Eva Maria John vom Ökoglobe-Insitut der Universität Duisburg-Essen kommen in einer Untersuchung für das Münchner Ifo-Institut zur Erkenntnis, dass Autos unter realitätsnahen Bedingungen im Schnitt 27 Prozent mehr Sprit schlucken und Schadstoffe ausstoßen als angegeben. Das Duo findet dafür klare Worte. Der Verbraucherschutz werde mit Füßen getreten und Innovation verhindert.

"Damit wird das von der EU -Kommission verfolgte Ziel, dass Neuwagen im Schnitt nur noch 130 Gramm CO2 ausstoßen sollen, Makulatur", rügen die Experten und rechnen hoch. Aus 130 Gramm auf dem Papier würden realistisch gesehen 188 Gramm pro Kilometer. Von 188 untersuchten Fahrzeugen seien nur vier sparsamer gewesen als versprochen. Das waren zwei Aston Martin, ein Bentley und ein Ferrari. Alle anderen lagen über den Werksangaben.

Weil die Kfz-Steuer neuerdings nach dem CO2-Ausstoß berechnet wird, entgehen dem deutschen Fiskus dadurch Einnahmen in dreistelliger Millionenhöhe, hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) berechnet. Auf den einzelnen Vielfahrer kämen jährlich Mehrkosten von 1000 Euro oder mehr zu. "Das ist systematische Verbrauchertäuschung", findet DUH-Chef Jürgen Resch. Schuld an dieser Praxis hätten sowohl die Autohersteller als auch der EU -Test mit dem Kürzel Nefz (Neuer Europäischer Fahrzyklus), kritisieren Resch, John und Dudenhöffer.

Nefz-Test alltagsfern

Den Nefz-Test gibt es in seiner jetzigen Form seit 1996. Auf den Alltag im Straßenverkehr oder auf Extras nimmt er keine Rücksicht. Doch diese erhöhen nicht nur den Komfort eines Autos sondern auch dessen Gewicht und damit den Verbrauch, stellt Ökoglobe klar. 100 Kilogramm schlügen im Schnitt mit 0,4 Liter pro 100 Kilometer zu Buche. Aber auch Autofahrer selbst haben es aber in der Hand respektive im Fuß, wie viel aus dem Auspuff qualmt.

"Die Fahrweise erhöht oder senkt den Spritverbrauch um bis zu 30 Prozent", sagt ADAC -Experte Andreas Maurer und wirbt für defensives Fahren. Gleichwohl ist auch der Autoclub mit dem Nefz-Verfahren mangels Realitätsnähe nicht glücklich. Im eigenen Ecotest ermittelt der ADAC stets Mehrverbräuche gegenüber den Herstellerangaben. "Sie werden garantiert mehr verbrauchen", beschwört Maurer mit Blick auf die EU -Norm. Da deren Testverlauf fest definiert ist, sei es für die Hersteller technisch kein Problem, ein Fahrzeug daraufhin zu optimieren, warnen Dudenhöffer und John.

"Der Test verzerrt systematisch", rügen beide und haben eine Erklärung parat. Eingebracht worden sei die so realitätsferne wie industriefreundliche Nefz-Richtlinie vom früheren EU -Kommissar für Industriepolitik, Martin Bangemann, nicht vom Verbraucher- oder Umweltschutz. Die DUH bemängelt zudem darüber hinaus , dass viele Autohersteller den ohnehin fragwürdigen Nefz-Test zusätzlich "kreativ auslegen".

Mit Leichtlaufölen oder extrem erhöhtem Reifendruck werde der Rollwiderstand und damit der Spritverbrauch irreführend gemindert. Diese und andere Tricks "bewegen sich in der Grauzone zwischen kreativer Interpretation und missbräuchlicher Manipulation", sagt Resch und will den Test durch ein ehrlicheres Verfahren ersetzen lassen. John und Dudenhöffer fordern eine radikale Überarbeitung der Bangemann-Richtlinie durch die EU -Verbraucher- und Umweltschützer. Darüber wird aber trotz aller Bekenntnisse zur neuen Spritsparphilosophie noch nicht einmal diskutiert.

Thomas Magenheim-Hörmann

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