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Weltall-Aufnahme verblüfft Forscher: „Wir haben das Unmögliche entdeckt“

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Von: Tanja Banner

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Das „James Webb“-Teleskop stellt die Kosmologie auf den Kopf: Massereiche Galaxien im frühen Universum lassen sich mit gängigen Modellen nicht erklären.

State College – Die Galaxien, die sich kurz nach dem Urknall im Universum entwickelt haben, sollten klein sein. Das zumindest erwartet die Astrophysik. Doch nun scheinen Aufnahmen des neuen „James Webb“-Weltraumteleskops (JWST) der Raumfahrtorganisationen Nasa, Esa und CSA dieses Verständnis vom Universum auf den Kopf zu stellen. Ein Forschungsteam hat in den Bildern gleich sechs massereiche Galaxien im frühen Universum entdeckt.

Die Forschungsgruppe ist überrascht von ihrem Fund: „Diese Objekte sind viel massereicher als erwartet“, erklärt Joel Leja von der Pennsylvania State University in State College in einer Mitteilung. Leja ist Teil des Forschungsteams, das die Aufnahme der Galaxien analysiert hat. Die Facharbeit dazu wurde im Fachjournal Nature veröffentlicht. „Wir hatten erwartet, zu diesem Zeitpunkt nur winzige, junge Baby-Galaxien zu finden, aber wir haben Galaxien entdeckt, die so reif sind wie unsere eigene, und das in einem Bereich, den man früher für die Morgendämmerung des Universums hielt“, berichtet der Astrophysiker Leja in einer Mitteilung.

Sechs massereiche Galaxien, die 500 bis 700 Millionen Jahre nach dem Urknall schon existierten, werfen möglicherweise gängige kosmische Modelle über den Haufen.
Sechs massereiche Galaxien, die 500 bis 700 Millionen Jahre nach dem Urknall schon existierten, werfen möglicherweise gängige kosmische Modelle über den Haufen. © NASA, ESA, CSA, I. Labbe (Swinburne University of Technology). Image processing: G. Brammer (Niels Bohr Institute’s Cosmic Dawn Center at the University of Copenhagen)

„James Webb“-Weltraumteleskop blickt bis fast zum Urknall

Das internationale Forschungsteam um Leja hat die Galaxien in einem Zeitraum etwa 500 bis 700 Millionen Jahre nach dem Urknall gefunden – in kosmischen Dimensionen ist das quasi unmittelbar nach dem Urknall. Das Weltraumteleskop „James Webb“ macht es der Forschung mit seinen Infrarot-Instrumenten möglich, Licht zu erkennen, das von den ältesten Sternen und Galaxien ausgeht. So können die Forscher etwa 13,5 Milliarden Jahre in die Vergangenheit schauen – bis kurz vor den Urknall, der sich gängigen Modellen zufolge vor etwa 13,8 Milliarden Jahren ereignet hat.

Noch ist sich das Forschungsteam nicht ganz sicher, dass es tatsächlich uralte riesige Galaxien entdeckt hat, denn die Galaxien sind auf den JWST-Aufnahmen nur als kleine rötliche Punkte zu erkennen. „Dies ist unser erster Blick so weit zurück, daher ist es wichtig, dass wir offen bleiben für das, was wir sehen“, so Leja. Während die Daten darauf hindeuteten, dass es sich wahrscheinlich um Galaxien handelt, hält der Forscher es auch für möglich, dass sich einige dieser Objekte als verdeckte supermassereiche schwarze Löcher herausstellen.

Chamäleon I
Das „James Webb“-Weltraumteleskop der NASA/ESA/CSA zeigt die zentrale Region der dunklen Molekülwolke Chamäleon I, die sich in 630 Lichtjahren Entfernung befindet. © -/NASA/ESA/CSA/M. Zamani (ESA/Webb)/M. K. McClure (Leiden Observatory)/F. Sun (Steward Observatory)/Z. Smith (Open University)/Ice Age ERS Team/dpa

Gigantische Galaxien widersprechen kosmologischen Modellen

„Unabhängig davon bedeutet die von uns entdeckte Menge an Masse, dass die bekannte Masse an Sternen in dieser Periode unseres Universums bis zu 100 Mal größer ist, als wir bisher angenommen hatten. Selbst wenn wir die Stichprobe halbieren, ist das immer noch eine erstaunliche Veränderung“, erklärt Leja. Die Entdeckung seiner Forschungsgruppe „stellt infrage, was viele von uns für wissenschaftlich gesichert hielten“, betont der Astrophysiker. „Wir haben diese Objekte informell als ‚Universumsbrecher‘ bezeichnet – und sie haben ihrem Namen bisher alle Ehre gemacht“.

Die Galaxien sind nach Angaben der Forschungsgruppe so massereich, dass sie mit 99 Prozent aller kosmologischen Modelle nicht übereinstimmen. Um die große Masse zu erklären, müsste man entweder die kosmologischen Modelle umschreiben oder das wissenschaftliche Verständnis über die Entstehung von Galaxien im frühen Universum revidieren. Bisher geht die Kosmologie davon aus, dass Galaxien als kleine Wolken von Sternen und Staub ihren Anfang nehmen und nach und nach größer werden.

Sehr tiefer Blick ins frühe Universum offenbart Erstaunliches

„Wir haben zum ersten Mal ins sehr frühe Universum geschaut und hatten keine Idee, was wir finden würden“, erzählt Leja. „Es stellte sich heraus, dass wir etwas so Unerwartetes gefunden haben, dass es tatsächlich ein Problem für die Wissenschaft darstellt.“ Sein Kollege Ivo Labbé, Hauptautor der Studie, erinnert sich an die Arbeit mit den Aufnahmen: „Ich lasse die Analysesoftware laufen und sie spuckt zwei Zahlen aus: Entfernung 13,1 Milliarden Lichtjahre, Masse 100 Milliarden Sterne, und ich spucke fast meinen Kaffee aus. Wir haben gerade das Unmögliche entdeckt. Unmöglich frühe, unmöglich massive Galaxien.“

Ein Weg, um herauszufinden, ob es sich tatsächlich um sehr alte Galaxien handelt, wäre, Spektren der einzelnen Objekte aufzunehmen. Dadurch könnten die Forscherinnen und Forscher die tatsächlichen Entfernungen ermitteln und außerdem herausfinden, woraus die Galaxien bestehen. Mithilfe dieser Daten könnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überdies feststellen, wie massereich die Galaxien tatsächlich sind. „Ein Spektrum wird uns sofort sagen, ob diese Dinge echt sind oder nicht“, erläutert Leja. (tab)

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